Heiligabend 2016 in Bad Westernkotten

Liebe Gemeinde,

in seinem neuen Buch erzählt der Autor und Journalist Axel Hacke davon, wie er Gott begegnet. Und dann heißt es:

„Tage später traf ich Gott am Altglascontainer. Wieder war, wie oft in letzter Zeit, ein Attentat geschehen. Bestien waren in Blut gewatet. Sie hatten aus keinem anderen Grund getötet, als diesem: dass sie unsere Art zu leben hassten. Der müde Zug um Gottes Augen war an diesem Tag noch müder geworden.“

Ich weiß nicht, wann er das geschrieben hat. Das Buch ist schon länger auf dem Markt. Aber, es hätte letzte Woche sein können. Wobei mich, wie uns alle, nicht nur das Attentat in Berlin erschüttert hat, sondern auch an dem Abend – als noch gar nicht klar war ob Attentat oder Unfall – die ständig zu spürende Gier der Medien, es möchte doch bitte ein Attentat sein. Fast wie: Endlich auch bei uns, denn nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten.

Aber zurück zu Hacke. Denn dann geht es in diesem Gespräch natürlich um das Böse in der Welt. Und warum es das gibt. Und warum Gott da nicht einfach dreinschlägt. Ein Wunsch, der mir in manchen Situationen nicht so ganz fremd ist. Und Ihnen und Euch auch nicht, denke ich. Aber, so Gott in diesem Gespräch:

„Er habe das Böse geschaffen, weil er gedacht habe: Wie solle man das Gute erkennen, wenn es das Böse nicht gebe? Wie könne man den Tag begrüßen, wenn man die Nacht nicht habe? Wie sei es möglich, das Leben zu schätzen, wenn es keinen Tod gebe? Nicht falsch, oder? Aber es quäle ihn, er sehe, was er angerichtet habe, bis zum Urknall zurück reue es ihn.“

So sei das mit dem Bösen. Man könnte den Kopf schütteln, aber wir sollten es nicht. So ganz unklug finde ich diese Gedanken nicht. Nur, so lässt Axel Hacke das Gott auch sagen, wenn nichts rückgängig zu machen ist, und wenn Gott nicht dreinschlagen will, was bleibt? Wenn die Gier immer größer wird, wenn Hass und Fanatismus sich nur noch im Blut baden wollen.

Gottes Antwort, und das wissen wir an sich seit 2000 Jahren, Gottes Antwort ist eine andere. Eine ganz andere.

Weihnachten, das Kind, der Stall, die Botschaft der Engel. „Fürchtet euch nicht. Noch ein Versuch: Gottes ausgestreckte Hand, seine Solidarität, in den Höhen und in den Abgründen des Lebens. „Ich erkläre euch den Frieden und meine Liebe. Und ich bin auf eurer Seite und niemand soll sich unterstehen, euch zu schaden. Fangt doch einfach noch mal ganz von vorn an, so wie ich mit euch.

Ja, ich gebe zu, wir haben das schon so oft gehört. Und es klingt für uns vertraut, vertraut und unwirklich und fremd zugleich. So, dass wir kaum noch hinhören. Es hinnehmen wie den Wetterbericht. Aber mehr auch nicht.

Aber wenn an einer deutschen Schule in Istanbul Weihnachten – verkürzt gesagt – verboten werden soll. Hat Herr Erdogan Angst davor? Und wenn der Glaube an diesen Herrn und Gott, sogar Weihnachtsmärkte, die ja nun wirklich nicht mehr als ein fader Abklatsch des Geschehens von Bethlehem sind, wenn so etwas das Feindbild und Ziel von Wirkköpfen und Fanatikern ist, die ja auch eigentlich aus Angst reagieren, bekommt dann die Botschaft von Weihnachten, von einem Gott, der auf alle Macht verzichtet und gerade so die Menschen fördern und groß und stark machen will, bekommt das dann nicht eine ganz andere und neue Qualität? Und ahnen wir noch, welche Kraft darin steckt, auch für uns?

„Ich werde, ich bin einer von und für euch. Euer Leben, Ihr, Eure Welt, das ist das Beste und Kostbarste, was es gibt. Und da bin ich auf Eurer Seite, und Weihnachten kann euch sagen: Es wird gut. Mehr noch. Unbeschreiblich kann es werden. Unbeschreiblich schön und gut.“

Aber Vorsicht. Da wird es auch kompliziert. Manchmal denke ich ja, das ist es, das wollen wir, Weihnachten. Das brauchen wir auch, wenigstens einmal im Jahr, diese Zuversicht, die Gewissheit angenommen zu sein, nicht verloren in alle Ewigkeit. Und das nehmen wir gern an. Tut einfach gut. Aber dann kommt es mir zugleich vor, wie die große Dröhnung, der Medikamentencocktail: alles, was so ein Jahr gebracht hat, was sich auf unser Gemüt und unsere Seele gelegt und unser Leben schwer hat, mit dieser Art von Therapie am Jahresende betäubt, vergeben, vergessen, ausgemerzt, überstanden. Alles wieder heile und heile Welt.

Kann man so machen. Besser als nichts, besser als Gleichgültigkeit, Zynismus, Resignation. Aber ab nächste Woche geht es wieder von vorn los. Spätestens ab Neujahr alles wieder von vorn. als wäre nichts gewesen. Bis zum nächsten Weihnachten. Und nächstes Jahr, da brauchen wir wieder diese Dröhnung „Heile Welt“, oder wie immer man das nennen will. Und dann wäre Weihnachten kaum mehr als ein Datum.

Und darum denke ich, wir müssen lernen, uns aus der Haltung des Hirten zu lösen. Dieses einen Hirten, der ja anscheinend in jedem Weihnachtsspiel vorkommt. Sie kennen das. Da kommt der Engel: „Fürchtet euch nicht. Ihr habt eine Zukunft. Gott stellt eure Füße auf weites Land. Und ihr könnt den aufrechten Gang wagen. Denn euch ist heute der Heiland geboren“. Was ja mehr meint als ein Baby für einen Tag. So als wäre Jesus eine Eintagsfliege. Und die Hirten hören das, und sie leben und blühen förmlich auf. Alle, fast alle. Bis auf den einen. Der zweifelt, glaubt nicht, dass was anders werden kann, der hat schon lange aufgegeben. „Ist ja ganz nett mit den Engeln, ist doch mal was anderes mit dem Licht und der Musik. Wie Weihnachtsmarkt für die Hirten. Aber mehr doch auch nicht.“ Und die anderen sehen das anders, bedrängen ihn. Bis hin zu der Antwort auf den Satz des Hirten „Glaub ich nicht“, der Antwort, die da heißt: „Ja, aber träumen kann man davon.“ Wenigsten träumen kann man davon. Und dann geht der Hirte doch mit. Und dann tut sich was. Und ändert sich was. Durch Weihnachten, durch und mit Gottes Nähe, weil dann doch jeder wissen kann und darf und auch muss, dass diese Welt ihren Endzustand noch nicht erreicht hat. Und Gott abwischen wird alle Tränen von unseren Augen.

Axel Hacke lässt seinen lieben Gott am Ende sagen:

Ich beneide euch um das Leben, ich beneide euch um den Tod. Ich beneide euch darum, dass ihr euch zu bewähren habt, dass ihr nachdenken müsst. Dass das Leben für euch eine Kostbarkeit ist, die ihr ergreifen könnt, dass dieses Leben für euch etwas Konkretes ist, das ihr zu eurem Leben machen könnt. Das ihr das Unglück kennt und deshalb erfahren könnt, was Glück ist. Dass ihr um die Beliebigkeit wisst, und deshalb über das Wichtige nachzudenken habt. Wie ich euch beneide, Mann!

Darum liebe Gemeinde:

Mehr Gehalt – in unseren Worten und Reden.
Mehr Umsatz – der guten Gedanken in die Tat.
Mehr Konsum – der göttlichen Zuneigung.
Mehr Gewinn – an wichtigen Einsichten.
Mehr Geschenke – wie Zeit und Vertrauen.
Mehr Verschwendung – von Liebe und Versöhnung.

Damit es kein Ein-Tages-Trip bleibt.

Darum fürchtet Euch nicht. Denn Euch ist heute der Heiland geboren.

Amen