6. Dezember 2020/2. Advent – Erwitte und Anröchte

2. Advent 2009

Jakobus 5, 7+8
So seid nun geduldig, liebe Schwestern Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.
(8)Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.

Liebe Gemeinde,

erinnern Sie sich noch? Advent und Weihnachten letztes Jahr ? Und 2018? 2017? Eigentlich alle Jahre, so weit ich mich erinnern kann.
„Ich wünsche Ihnen eine geruhsame Zeit. Lassen Sie sich nicht hetzen. Kinder und Erwachsene, habt Geduld. Lassen Sie sich nicht anstecken von Hektik und gehen Sie nicht unter in der Betriebsamkeit. Nehmen und lassen Sie sich Zeit. In der Langsamkeit, in der Stille, liegt das Geheimnis. Genießen Sie die Ruhe. Das ist Advent.“

Und dieses Jahr? Wir ersticken doch fast an der Ruhe. Möchten, dass mehr los ist, viel mehr. Sehnen uns förmlich nach Betriebsamkeit, nach Veranstaltungen und Musik und Adventsfeiern, möchten nicht, dass uns Lebenszeit gestohlen wird, sehnen uns nicht zuletzt danach, endlich wieder Kontakt zu Menschen haben zu können. Ihnen nahe zu sein, sie in den Arm nehmen zu können. Und das unbeschwert und ohne Angst und ohne Misstrauen.

Und, wir können es doch kaum noch erwarten. Wann wird das endlich so weit sein, anders sein, endlich wieder normal und gut und schön?

Und dann dieser Text, der Predigttext. Über das Geduldig-Sein und über das Warten. Und, ganz ehrlich, warten können wir Menschen, die Großen wie die Kleinen, warten können wir Menschen nicht so besonders gut. Wir sind eine ungeduldige und nie zufriedene Bande, so hätte mein Großvater, ein alter Schlesier, das gesagt. Aber: „Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.“

Doch es lässt sich und ich will es nicht überhören, da ist auch von Nähe die Rede. Von einer Zeit, wo wir ein „O du fröhliche“ nicht nur traurig singen oder herbeisingen, wenn und wo wir überhaupt noch singen dürfen, sondern wo das zutrifft, die gnadenreiche Zeit. Und natürlich, Weihnachten, das Kommen Gottes in diese Welt, natürlich ist das eine Zeit, wo Gerechtigkeit und Frieden Wirklichkeit sein werden, wo ich geliebt und akzeptiert bin, Gott mitten unter uns, und wo Krankheit, Leid und Tod keine Macht mehr über uns Menschen haben werden. Aber genau das ist für mich in diesen Tagen auch eben auch und nicht zuletzt eine Zeit ohne Corona, die Zeit nach Corona.

Aber eben wann? Wie lange noch Geduld und Warten?

Und darum drei Dinge über das Warten und die Geduld.

Zum einen. Warten lernen. Da findet sich in einem der alternativen Adventskalender der Vorschlag, sich in dieser Zeit mal vor ein großes mehrstöckiges Haus oder, mangels Hochhaus, sich bei sich in die Siedlung zu stellen, übrigens ohne Glühwein und Gebäck, schmeckt alleine sowieso nur halb so gut, und da so lange zu warten, bis 24 Fenster erleuchtet sind. Und man denkt ja zuerst ein bisschen kopfschüttelnd: was denen wohl noch alles einfällt. Da kann ich doch genauso gut zu Hause in meinem Sessel vor mich hinwarten, meinetwegen bis zum 25. Mal „Last Christmas“ gedudelt wird. Ist aber nicht dasselbe, das Eine wie das Andere. Denn im Sessel, da bestimme ich selbst über meine Zeit oder über das, was ich hören will. Draußen aber, da bin ich darauf angewiesen, dass etwas geschieht. Und komme in dieser Zeit sicher nicht nur auf viele gute Gedanken, sondern merke, wenn das 24. Licht partout nicht angehen will: es ist nicht alles machbar oder zu erzwingen. Mehr noch: ich merke nicht nur, wie schnell wir die Verfügbarkeit über unser Leben verlieren können, das wissen wir sowieso spätestens seit dem Frühjahr.

Sondern merke auch: Manche Sachen kommen eben von außen, und die wichtigsten Sachen werden geschenkt. Und so ist das auch mit Gottes Reich. Mit dem Ende von Trübsal und Leid. Also warten. Lohnt sich.

Zum zweiten. „Wer warten kann, hat viel getan.“ Sagt der Volksmund. Und hat Recht. Und das hat mit Passivität, Verdrängen, Aussitzen oder Auf-die-lange-Bank-Schieben nichts zu tun. Sondern meint, Dinge mal ruhen zu lassen, sie reifen zu lassen. Denken Sie an Wein z. B., das kann sehr produktiv sein. Und auch lecker. Und wenn man die Herkunft des Wortes bedenkt, nämlich dass „Warten“ ursprünglich meint, „auf der Warte wohnen“, also den erhöhten Standpunkt haben, einen Überblick bekommen, Ausschau halten und bewachen, dann ist das ein sehr guter Standpunkt für das Leben im Advent. Und für die Frage, was eben nicht quer und vor allem laut und sonst nichts ist, sondern was wirklich wichtig ist und einen größeren Horizont hat. Wer weiß, vielleicht belächeln wir irgendwann diese Zeit, und sagen: Wer weiß, wofür das alles gut war.

Und ein drittes, ein bisschen an das Letzte anschließend: Warten kann auch bedeuten – so wie man sein Auto warten lässt – warten kann eben auch bedeuten, auch mal seine Seele und sein Leben zu warten oder warten zu lassen. Mal prüfen, was sich so tut an Leib und Seele, wahrnehmen, wo es nicht rund läuft, holpert oder gar Aussetzer gibt. Achtsam sein und werden, sehen, wo Schadstellen sind, was fehlt, was repariert werden müsste. Was helfen kann. Und dann eben nicht überquellende Weihnachtsmärkte und rappelvolle Kaufmeilen zu vermissen, sondern den wieder in den Blick zu bekommen, der helfen kann. Oder wie es im Adventslied heißt: Ich lag in schweren Banden / du kommst und machst mich los / ich stand in Spott und Schanden / du kommst und machst mich groß / und hebst mich hoch zu Ehren / und schenkst mir großes Gut / das sich nicht lässt verzehren / wie irdisch Reichtum tut.

Denn es ist noch nicht aller Tage Ende. Und die Herren der Welt kommen und gehen, und auch Corona wird gehen, das ist meine feste Überzeugung, die Herren der Welt kommen und gehen, unser Herr aber kommt.

Ich weiß natürlich auch, angesichts der Infektionszahlen und der medizinischen Nachrichten, die uns spätestens morgen wieder quälen, auch angesichts der Menschen, die wir eben nicht treffen und schon lange nicht in den Arm nehmen dürfen, da klingt das ein bisschen wie: Wunder gibt es immer wieder. Aber: Lottogewinne gibt es auch immer wieder. Klar, eins zu weiß ich wieviel 100-Millionen ist die Chance auf den Jackpot. Aber es gibt sie. Und ein Dreier oder Vierer ist ja auch nicht zu verachten.

Darum nochmal: Das ist nicht der Endzustand.
Auf der Beerdigung von Michael Kirchhoff, über 10 Jahre ist das jetzt schon her, habe ich davon erzählt, dass bei Einladungen im Hause Kirchhoff die Köstlichkeiten und guten Dinge nach dem Essen noch nicht abgeschlossen waren. Denn irgendwann zu späterer Stunde, und alle wussten das und freuten sich, ging Frau Kirchhoff noch einmal in die Küche, um dann mit sehr leckeren und sehr ansehnlichen Portionen von Eis wieder zu erscheinen.
„Bei Kirchhoffs, da kommt immer noch was.“ So war das und so habe ich das bei der Trauerfeier gesagt und zugleich auch auf diesen Anlass bezogen.

„ So seht nun auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ Der Wochenspruch. Da kommt immer noch was. Da geht immer noch was. Auch für uns und auch jetzt noch.

Und in dem Zusammenhang, ich habe einen neuen Ohrwurm, von der Kapelle Petra, warum immer die so heißt. „Noch nicht Schicht“, so der Titel, und die erste Strophe:

An irgendeinem Tag wird die Welt untergeh’n

Doch an allen andern Tagen halt nicht

An irgendeinem Tag ist das alles vorbei

Aber jetzt ist noch nicht Schicht

Irgendwann geh’n irgendwie die Lichter aus

Und bis dahin machen wir das Beste draus

Darum seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe. Amen