Ostern 2023

Liebe Gemeinde,

„Nennen wir es Frühlingslied“ von Mascha Kaleko.

In das Dunkel dieser alten, kalten
Tage fällt das erste Sonnenlicht.
Und mein dummes Herz blüht auf, als wüsst es nicht:
Auch der schönste Frühling kann nicht halten,
Was der werdende April verspricht. 

Da, die Amseln üben schon im Chor,
Aus der Nacht erwacht die Welt zum Leben,
Pans vergessnen Flötenton im Ohr…
Veilchen tun, als hätt‘ es nie zuvor
Laue Luft und blauen Duft gegeben.

Die Kastanien zünden feierlich
Ihre weißen Kerzen an. Der Flieder
Bringt die totgesagten Jahre wieder,
Und es ist, als reimten alle Lieder
Sich wie damals auf „Ich liebe dich“.

– Sag mir nicht, das sei nur Schall und Rauch!
Denn wer glaubt, der forscht nicht nach Beweisen.
Willig füg ich mich dem alten Brauch,
Ist der Zug der Zeit auch am Entgleisen –
Und wie einst, in diesem Frühjahr auch
Geht mein wintermüdes Herz auf Reisen.

Sie werden sich denken können, dass vor allem die letzte Strophe mich nicht losgelassen hat.

Denn wer glaubt, der forscht nicht nach Beweisen.
Willig füg ich mich dem alten Brauch,
Ist der Zug der Zeit auch am Entgleisen –
Und wie einst, in diesem Frühjahr auch
Geht mein wintermüdes Herz auf Reisen.

“Ist der Zug der Zeit erst am Entgleisen…”. So könnte man ja in der Tat unsere Zeit beschreiben. Und ohne dass ich jetzt alles einzeln aufzähle, vom Ukraine-Krieg über Wirtschaftskrise mit Armutsbedrohung für viele bis hin zu immer mehr Tyrannen und immer weniger Demokratie, ja,  und immer schlechterem Klima in unserer Welt, das trifft es ziemlich gut, wie ich finde, leider: “Ist der Zug der Zeit erst am Entgleisen …”.

Und folgerichtig herrscht Angst, viel, viel zu viel Angst. Und das Prinzip des Lebens scheint nur noch Angst zu sein.

Und das macht was mit uns. Diese Angst hat Folgen. Die einen macht es einfach nur traurig bei dem Gedanken, dass es nie mehr so sein wird wie früher, wie vor Krieg und Pandemie. Andere dagegen versuchen den Tanz auf dem Vulkan, alles egal, Hauptsache Stimmung. Und noch andere versuchen nur non krampfhaft abzusichern und festzuhalten, was nicht festzuhalten ist. Bis hin zu denjenigen, die sich den Keller vollstopfen und dann – noch ein Schritt weiter – ihn mit Beton absichern. Um dann, wenn sie wieder rauskommen, feststellen zu müssen, dass sie allein auf der Welt sind. Wer es möchte … ich nicht. Und wir alle miteinander merken nur noch viel zu selten, dass Vertrauen und Hoffnung und Lebensfreude, dass Ziele und Pläne dabei auf der Strecke geblieben sind. Glauben kaum noch dran. Die Angst begräbt uns – oder wir uns selber. “Ist der Zug der Zeit erst am Entgleisen …”.

Und so will ich nicht leben. Und das will ich nicht hinnehmen. Und darum brauche ich eben keine ständig mich runterziehenden Kommentare und Hinweise, wie schlimm und schrecklich alles ist. Das weiß ich von allein, ich informiere mich doch, und die Wiederholung macht es nicht besser. Und deshalb, ich brauche ganz andere Geschichten, brauche Ostern, brauche Ostergeschichten und besonders die von der Auferstehung.

Brauche Symbole, Bilder und Geschichten, in denen es nicht um Drohungen oder Warnungen geht, sondern um Befreiung, brauche Gleichnisse, die mich beflügeln. Brauche eben Bilder, die mich aus dieser Angst-Blase herausreißen. Die meinen Horizont erweitern, die mir helfen, größer zu werden, als ich bin. Da und jetzt, wo alles versucht, mich kleinzukriegen. Und mutlos. Und resignierend. Brauche Bilder, in denen ich nicht wiederzuerkennen bin. Allenfalls das, was alles noch aus mir werden könnte. „Ich bin, aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst. (Ernst Bloch) Brauche Geschichten, die mir Mut machen, über meinen Tellerrand zu schauen und über meinen Schatten zu springen, auch aus meinem engen Horizont hinaus. „Es gibt Menschen, die sehen Dinge, die es gibt, und fragen: Warum. Ich aber träume von Dingen, die es noch nicht gibt und frage: Warum nicht.“ (G. B. Shaw zugeschrieben) Und genau das sind für mich diese Oster- und Auferstehungsgeschichten. Geschichten, die mir sagen: Fürchte dich nicht. Vor nichts und niemand. Auch nicht vor Tyrannen und vor dem Tod. Die Welt hat ihren Endzustand noch nicht erreicht. Und auch auf eine letzte Gerechtigkeit, da darfst du immer noch hoffen.

Liebe Gemeinde, in einer Zeit, in der so viel entgleist, in einer Zeit, in der viel zu viel uns auffordert, immer mit dem Schlimmsten zu rechnen, da sind die Ostergeschichten der Gegenentwurf. Ostern stellt die Welt auf den Kopf. Nicht laut und vor großem Publikum, anfangs erst vor ein paar Frauen und Männern, aber Ostern sagt uns heute immer noch: „Immer mit dem Besten rechnen.“ Denn da ist einer, der ist größer als unser kleines Leben. Stärker als Grab, Tod und Teufel. Und der hält uns, in dieser Welt und in diesem Universum. Und wenn alle Tyrannen und Machthaber schon längst zu Staub zerfallen sind, dann steht der immer noch an unserer Seite mit einer Liebe, die stärker ist, als alles Wechselfälle dieses Lebens.

Darum brauche ich Ostern und seine Geschichten, denn das stellt meine Füße auf weiten Raum, sagt, dass die, die mit Tränen säen, mit Freuden ernten werden. Beseelt mich mit der Vorstellung von einem neuen Himmel und einer neuen Erde, wo Leid und Tod und Geschrei nicht mehr sein werden. Weil da einer sagt und in die Tat umgesetzt hat: Siehe, ich mach alles neu. Und du bist gemeint, bist mit einbezogen.

Und ja, ich weiß, ich kann das weder belegen noch beweisen. Brauche ich auch nicht, denn diese Gewissheit, diese Zuversicht und Hoffnung,  das macht etwas mit und das macht etwas aus mir. Und haben sie den Vers aus dem Gedicht noch im Gedächtnis?

Denn wer glaubt, der forscht nicht nach Beweisen.
Willig füg ich mich dem alten Brauch,
Ist der Zug der Zeit auch am Entgleisen –
Und wie einst, in diesem Frühjahr auch
Geht mein wintermüdes Herz auf Reisen.

Weil es weiß: Fürchte dich nicht. Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.

So ist es und so sei es auch heute. Oder auf Griechisch: Amen

6. Februar 2022 – Erwitte und Anröchte

Matthäus 14, 22-33

Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe.
 23Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein. 
24Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.

25Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. 26Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. 
27Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!

28Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. 
29Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. 
30Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! 
31Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?

32Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. 33Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!

Liebe Gemeinde,


Es gibt ja Leute, die sagen: das Leben ist wie eine Bootsfahrt.

Man steigt in ein Boot, oft genug wird man auch hineingesetzt, man verlässt den festen Boden unter den Füßen, begibt sich auch in Gefahr. Aber das Boot trägt über das Wasser des Lebens und schaukelt hin über die Tiefen und Untiefen.

Manche sagen, so sei das Leben wirklich, wie eine Bootsfahrt. Aber, so sind wir Menschen nun mal, meist, viel zu oft, lässt man sich treiben. Es wird schon werden. Es war gestern gut, warum nicht heute und morgen auch. Ist ja doch immer noch gutgegangen. Mit einer Selbstverständlichkeit, die einen gar nicht mehr drauf bringt, auch selbst zu agieren, selbst aktiv zu werden. Und wer mag, kann hier Parallelen ziehen zu dem, was sich im Augenblick auf unseren Straßen und auch im Netz abspielt: Mit der Demokratie da ist es auch wie mit der Gesundheit. Erst wenn sie nicht mehr da ist, weiß man, wie wertvoll sie war und ist. Und dann lohnt es kaum noch, sich zu fragen, ob man vielleicht doch hätte etwas tun müssen.

Aber – trotzdem – zurück zum Boot: Meist geht das ja auch gut. Oder ist gut gegangen. Am liebsten auf der Sonnenseite des Lebens. 

Aber dann, und das kann alle und alles treffen, dann aus heiterem Himmel ein Sturm. Das Wetter des Lebens kann nämlich auch sehr schnell umschlagen. Und jeder und jede, die schon einmal auf einen Befund gewartet haben, die kennen das. Dann peitschen die Wellen hoch. Das Boot unseres Lebens wird gepackt, geschüttelt, hochgerissen und ins Wellental ausgespuckt. Jede herankommende Welle, und diese Wellen können viele Namen und Gesichter haben ‑ da reicht mir im Augenblick schon die Pandemie mit ihren Wellen und mit ihren politischen Begleiterscheinungen, da müssen nicht auch noch Ukraine und Klima und China und die Katholische Kirche und weiß ich was dazukommen – jede herankommende Welle – die 4. Oder die 5.? – ein neuer Schub Angst. Jetzt ist es doch aus. Jeden Moment kentern können. Oder seit Omikron: Es wird auch mich erwischen, ich weiß nur noch nicht wann und wie. Aus heiterem Himmel – 2 Jahre jetzt her – eine nicht zu bändigende Kraft, der der Mensch kaum oder auch gar nicht gewachsen ist ‑ am Leib nicht und mit seiner Seele nicht. Wir erleben das gerade.

Und dann ist sie da: die Angst. Das Vertrauen ins Leben ist weg. Vielleicht sogar Lebensangst. Urangst. Vielleicht noch der Gedanke: „Damit hat keiner gerechnet. Es war doch alles so gut. Warum konnte das nicht alles so bleiben? Das Leben war doch schön.“

Und dann, ihr habt es gerade gehört, kommt er und nimmt er die Angst weg. „Fürchtet euch nicht. Ich bins. Und ich bin bei euch.“ Der Sturm muss sich ergeben. Der aufgesperrte Rachen des Todes: zugeklappt. Wie das Unglück kam, so geht es. Dem höllischen Aufruhr folgt Stille. Tröstliche Ruhe nach dem Sturm. So ist Gott.

Und so die Botschaft dieser Geschichte, auch und immer noch im Jahr 2022 und auch und trotz Pandemie: : Mit ihm im Boot oder mit ihm an der Seite sein heißt: durch die Gefahren hindurch kommen. Nicht untergehen. Und da kann man viel nach Beweisen oder Begründungen fragen, alles umsonst. Das ist so. Er hält uns. Gibt das Vertrauen ins Leben zurück. Und wenn man dies Leben bestehen will, dann kann man das nicht nur annehmen, dann muss man sich einfach darauf verlassen. Und man kann es, denn er hält, was er verspricht. Erfüllt nicht alle unsere Wünsche aber alle seine Verheißungen. Hat uns nicht versprochen, uns vor allem zu bewahren, aber durch alles hindurch.

Und wenn Ihr jetzt skeptisch bleibt und das zu Recht – „Ja, wenn das so einfach wäre. Denn Petrus probiert es ja aus, und scheitert kläglich.“ – wenn ihr jetzt skeptisch bleibt, dann noch mal die paar Worte Jesu, für mich fast das Wichtigste an dieser Geschichte.

 „Fürchtet Euch nicht.“ Und: „Du Kleingläubiger.“ Würde er uns genauso fragen:  „Warum habt ihr Angst? Warum seid ihr so furchtsam, ihr Kleingläubigen?“ Und man fragt sich zuerst: Ist er ahnungslos, gefühllos, gefahrenblind? Wir bilden uns unsere Sorgen und Gefahren doch nicht nur ein. Das nagt an uns. Das macht uns mehr als Sorgen. Und dann: Alles nur Kleinglaube? Die reale Gefahr nur Einbildung, mangelndes Vertrauen? Nein,aber umgekehrt wird ein Schuh daraus.

Die Angst nämlich ist es, die erstarren lässt vor der Gefahr und dazu bringt, vor der Gefahr zu kapitulieren, bevor das Befürchtete eingetreten ist. Und wenn man Angst hat, dann  wird es eintreten. Darum seine Frage: „Warum hat euch die Angst gepackt?“ Erhaltet Euch mitten im Sturm Vertrauen! Ihr werdet hindurch kommen. Und was auch geschieht: ihr werdet nicht verloren sein. Nichts und niemand kann uns aus der Hand Gottes reißen. So ist Gott. Und nur so besteht man die Stürme des Lebens. Und hoffentlich auch die Wellen der Pandemie.

Heiligabend in Bad Westernkotten habe ich das mit einer Geschichte gesagt, oder unterstrichen.

Das Kind, das es schaffen konnte

Zwei Kinder sind den ganzen Morgen auf einem zugefrorenen See Schlittschuh gelaufen, als plötzlich das Eis bricht und einer von beiden ins Wasser fällt. Ein Wasserstrom treibt das Kind ein paar Meter unter dem gefrorenen Eis weiter, sodass nur die Möglichkeit blieb, die Eisschicht, die es bedeckt, zu durchbrechen, damit es zurück an die Oberfläche kommen kann.

Sein Freund beginnt, um Hilfe zu schreien, aber als er sieht, dass niemand kommt, sucht er schnell nach einem Stein und beginnt, mit aller Kraft auf das Eis einzuschlagen. Er schlägt und schlägt und schlägt, bis sich das Eis einen Spalt breit öffnete, durch den er seinen Arm streckt, um seinen Freund zu packen und ihn zu retten. Ein paar Minuten später kommt die Feuerwehr, die von den Nachbarn gerufen worden war, die die Hilferufe gehört hatten. Als die Kinder ihnen erzählen, was passiert war, kommen sie nicht umhin, sich zu fragen, wie dieser kleine Junge eine so dicke Eisschicht durchschlagen konnte.

“Es ist unmöglich, dass es ihm mit bloßen Händen gelungen ist. Es ist unmöglich! Er ist nicht stark genug, wie hätte er das schaffen sollen?”,  kommentieren sie den Vorfall unter-einander. Ein älterer Mann, der in der Nähe war und die Unterhaltung mithörte, näherte sich den Feuerwehr-männern. “Ich weiß, wie er es gemacht hat”,  sagte er. “Wie?”,  antworteten sie überrascht. “Es war niemand in seiner Nähe, der ihm sagte, er könne es nicht schaffen.”

Also, seid vorsichtig, bleibt negativ und denkt positiv, aber „Fürchtet euch nicht“. Ihr könnt da durchkommen.

Amen

5. 12. 2021 – 2. Advent

Gottesdienste in Erwitte und Anröchte

Jesaja 35, 1-10.

1 Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien.
2 Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Scharon. Sie sehen die Herrlichkeit des Herrn, die Pracht unsres Gottes.
3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!
4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«
5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
6 Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande.
7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.
8 Und es wird dort eine Bahn sein und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren.
9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen.
10 Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

Liebe Gemeinde,

in der Vorbereitung für diesen Sonntag habe ich mal in alten Adventspredigten von mir geblättert. Mann, was ist das damals einfach gewesen.

Da konnte ich ohne Hemmungen ablästern über den Homo Decorativus, also über die Leute, die da im Advent ihre Häuser und Gärten mit Licht und Figuren verschandelten. Und heute, da sind wir ja fast über jedes Lichtlein froh, das uns die Dunkelheit – auch die der Seele – das uns die Dunkelheit nimmt. In diesem Zusammenhang: Es lohnt ein Gang durch die Lönsstraße am Abend.

Oder: früher konnte ich mit Lust spotten über kitschiges sogenanntes Liedgut von der Weihnachtsbäckerei bis hin zu dicken roten Kerzen, mit denen Kinder eine schlechte Kopie von Weihnachten übergestülpt wurde. Ja und heute, was würde und was würden wir drum geben, endlich wieder frei heraus und ohne Maske und miteinander singen zu dürfen. Wir haben es doch fast verlernt.

Da konnte ich aber so was von süffisant Weihnachtsmärkte abkanzeln, auf denen die Leute die Nähe suchten und diese Stimmung und Nähe für die Erfüllung ihrer Sehnsucht hielten. Und heute leiden wir mehr als nur ein bisschen darunter, dass ausgerechnet die Nähe, die wir so bitter nötig hätten, bei dieser Pandemie der absolute Fehler wäre.

Nicht zuletzt diese Schändung des Weins, die sich dann Glühwein nannte, und die Leute dazu brachte, ziemlich schief und ganz wirr im Kopf nach Hause zu torkeln. Aber wenn ich heute die Querdenker mit ihren wirren und völlig abstrusen Gedanken und Sprüchen und Meinungen höre, ich würde den Glühwein trinken, wenn es dagegen helfen würde.

Und, man mag ja gegen das das ziemlich kurzzeitige Harmoniebedürfnis zu Weihnachten früher so einiges einwenden, aber wenn ich jetzt erlebe, dass Demokratie, Mehrheit oder auch Zusammenhalt einem absolute individualistischen Egoismus geopfert werden, gepaart dann viel zu oft auch noch mit Nazi-Gedanken und Antisemitismus, dann wäre das Bekenntnis, dass die Heilige Familie aus Juden bestand das Mindeste, was ich herausschreien möchte. Und da werden mir fast schon die Leute sympathisch, die wenigstens noch Advent und Weihnachten begehen, auch wenn die schon nicht mehr wissen, ob sie die sieben oder an die zehn Gebote halten sollen. Ob sie an die Auferstehung glauben sollen oder doch an ihre Befürchtung, als Feldmaus wiedergeboren zu werden. Und die Karten verschicken mit dem Satz: Jesus ist an Weihnachten geboren. Das kann man sich gut merken.

Was hab ich das früher gut gehabt, so hatte ich oben angefangen. Und was haben wir es bis Anfang 2020 gut gehabt. Und was soll ich, was soll man dazu sagen?

Was, wenn nicht das, was Advent ist und bedeutet. „So schau nun vom Himmel und sieh herab. O Heiland, reiß die Himmel auf!“ Was für eine andere Bedeutung bekommt das da heute plötzlich. Und welche Hoffnung kann das dann sein. Eine Hoffnung, die wir als Christinnen und Christen haben. Die wir – denn sonst wäre das, wie schon oft gesagt, doch fast unterlassene Hilfeleistung – eine Hoffnung, die wir weitergeben können und sollen. Dass diese Welt ihren Endzustand noch nicht erreicht hat. Die Gewissheit, dass unser Gott regiert, was diese Welt etwas verändern wenn nicht sogar umkrempeln kann.  

Auch mit dem Wochenspruch: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ Das und so müsste es sein. Darum „Mache dich auf und werde licht.“ Bis dahin, dass wir den dunklen Gestalten Paroli bieten. Unsere Straßen und unser Land nicht ihnen und ihren finsteren Machenschaften und ihrem Gebrüll überlassen. Selbst wenn sie dabei Fackeln tragen wie jetzt in Sachsen. Aber, nicht zu vergessen, 1933 hat das auch mit Fackelmärschen angefangen. Wir sind es unserer Demokratie schuldig. Denn mit der ist es wie mit der Gesundheit: Erst wenn sie nicht mehr da ist, weiß man, wie wertvoll sie war und ist. „Mache dich auf und werde licht, denn dein Licht  kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir.“ Noch ist nicht aller Tage Abend.

Und jetzt kann man mir an der Stelle natürlich vorwerfen: Das ist doch alles weichgespült, billiger Trost. Und wie soll das denn gehen oder werden? Da ist was dran, ich gebe es zu. Aber aus meiner Sicht habe ich da immer zwei Möglichkeiten: Die Methode Märtyrer oder die Methode – ich nenne sie – Gebrüder Grimm.

Die Methode „Märtyrer“. Eine Haltung, in der sich zum Teil auch unsere Medien förmlich baden. Beispiel letzte Woche. Zuerst hörte man: „Wie schrecklich ist das alles. Die tun nichts wirklich gegen die Pandemie und die vierte Welle.“ Und zwei Tage später: „Wie schrecklich ist und wird das jetzt mit Weihnachten bei so vielen Maßnahmen.“
Die Methode „Märtyrer“.  Alles so schlimm und gruselig schildern, wie es oft leider auch ist, und von daher dann hoffen, das aus diesem Leid wenn nicht Wut so aber doch der Wille wird, zu verändern, oft egal wie. Ob das weiterhilft? Zumindest kann das auch schiefgehen.

Oder die Methode „Gebrüder Grimm“: Am Ende wird alles gut, und wenn sie nicht gestorben sind … Und genau das wünsche ich doch auch uns allen. Und darum, finde ich, muss man auch immer wieder – auch wenn das den meisten Medien keinen Spaß macht – Geschichten erzählen, die gut ausgehen und die Mut machen, etwas in Zuversicht zu ändern.

Also, aus dem heutigen Predigttext, wie punktgenau ausgesucht für uns in dieser Zeit:

 3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!
4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«

Also, Gedanken aus dem Kalender „Der andere Advent“ vom letzten Jahr:

Nicht alles ist abgesagt

Advent nicht und Weihnachten nicht.

Beziehungen sind nicht abgesagt. Liebe ist nicht abgesagt.

Lesen ist nicht abgesagt. Musik ist nicht abgesagt.

Fantasie ist nicht abgesagt. Freundlichkeit ist nicht abgesagt. Gespräche über den Zaun und keine Telefonate. Alles nicht abgesagt.

Zuwendung ist nicht abgesagt. Geschenke sind nicht abgesagt. Beten ist nicht abgesagt. Hoffnung ist nicht abgesagt. Und, er lässt sich sowieso nicht absagen, schon 2000 Jahre nicht.

Hoffnung ist nicht abgesagt. Und vielleicht erinnert sich der eine oder die andere an die Sätze von Fulbert Steffensky:

Ja, Hoffnung ist nicht abgesagt.

Die Hoffnung … ist eine wundervolle untreue Buchhalterin, die die Bilanzen fälscht und einen guten Ausgang des Lebens behauptet, wo dieser noch nicht abzusehen ist. Sie ist vielleicht die stärkste der Tugenden, weil in ihr die Liebe wohnt, die nichts aufgibt, und der Glaube, der den Tag schon in die Morgenröte sieht.

Nicht zuletzt deshalb: Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Seht, da ist euer Gott.

Und darum – vielleicht zum letzten Mal – den inzwischen legendären Satz von Frau Merkel, und ich finde, der passt hier: Wir schaffen das.

Amen

6. Dezember 2020/2. Advent – Erwitte und Anröchte

2. Advent 2009

Jakobus 5, 7+8
So seid nun geduldig, liebe Schwestern Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.
(8)Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.

Liebe Gemeinde,

erinnern Sie sich noch? Advent und Weihnachten letztes Jahr ? Und 2018? 2017? Eigentlich alle Jahre, so weit ich mich erinnern kann.
„Ich wünsche Ihnen eine geruhsame Zeit. Lassen Sie sich nicht hetzen. Kinder und Erwachsene, habt Geduld. Lassen Sie sich nicht anstecken von Hektik und gehen Sie nicht unter in der Betriebsamkeit. Nehmen und lassen Sie sich Zeit. In der Langsamkeit, in der Stille, liegt das Geheimnis. Genießen Sie die Ruhe. Das ist Advent.“

Und dieses Jahr? Wir ersticken doch fast an der Ruhe. Möchten, dass mehr los ist, viel mehr. Sehnen uns förmlich nach Betriebsamkeit, nach Veranstaltungen und Musik und Adventsfeiern, möchten nicht, dass uns Lebenszeit gestohlen wird, sehnen uns nicht zuletzt danach, endlich wieder Kontakt zu Menschen haben zu können. Ihnen nahe zu sein, sie in den Arm nehmen zu können. Und das unbeschwert und ohne Angst und ohne Misstrauen.

Und, wir können es doch kaum noch erwarten. Wann wird das endlich so weit sein, anders sein, endlich wieder normal und gut und schön?

Und dann dieser Text, der Predigttext. Über das Geduldig-Sein und über das Warten. Und, ganz ehrlich, warten können wir Menschen, die Großen wie die Kleinen, warten können wir Menschen nicht so besonders gut. Wir sind eine ungeduldige und nie zufriedene Bande, so hätte mein Großvater, ein alter Schlesier, das gesagt. Aber: „Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.“

Doch es lässt sich und ich will es nicht überhören, da ist auch von Nähe die Rede. Von einer Zeit, wo wir ein „O du fröhliche“ nicht nur traurig singen oder herbeisingen, wenn und wo wir überhaupt noch singen dürfen, sondern wo das zutrifft, die gnadenreiche Zeit. Und natürlich, Weihnachten, das Kommen Gottes in diese Welt, natürlich ist das eine Zeit, wo Gerechtigkeit und Frieden Wirklichkeit sein werden, wo ich geliebt und akzeptiert bin, Gott mitten unter uns, und wo Krankheit, Leid und Tod keine Macht mehr über uns Menschen haben werden. Aber genau das ist für mich in diesen Tagen auch eben auch und nicht zuletzt eine Zeit ohne Corona, die Zeit nach Corona.

Aber eben wann? Wie lange noch Geduld und Warten?

Und darum drei Dinge über das Warten und die Geduld.

Zum einen. Warten lernen. Da findet sich in einem der alternativen Adventskalender der Vorschlag, sich in dieser Zeit mal vor ein großes mehrstöckiges Haus oder, mangels Hochhaus, sich bei sich in die Siedlung zu stellen, übrigens ohne Glühwein und Gebäck, schmeckt alleine sowieso nur halb so gut, und da so lange zu warten, bis 24 Fenster erleuchtet sind. Und man denkt ja zuerst ein bisschen kopfschüttelnd: was denen wohl noch alles einfällt. Da kann ich doch genauso gut zu Hause in meinem Sessel vor mich hinwarten, meinetwegen bis zum 25. Mal „Last Christmas“ gedudelt wird. Ist aber nicht dasselbe, das Eine wie das Andere. Denn im Sessel, da bestimme ich selbst über meine Zeit oder über das, was ich hören will. Draußen aber, da bin ich darauf angewiesen, dass etwas geschieht. Und komme in dieser Zeit sicher nicht nur auf viele gute Gedanken, sondern merke, wenn das 24. Licht partout nicht angehen will: es ist nicht alles machbar oder zu erzwingen. Mehr noch: ich merke nicht nur, wie schnell wir die Verfügbarkeit über unser Leben verlieren können, das wissen wir sowieso spätestens seit dem Frühjahr.

Sondern merke auch: Manche Sachen kommen eben von außen, und die wichtigsten Sachen werden geschenkt. Und so ist das auch mit Gottes Reich. Mit dem Ende von Trübsal und Leid. Also warten. Lohnt sich.

Zum zweiten. „Wer warten kann, hat viel getan.“ Sagt der Volksmund. Und hat Recht. Und das hat mit Passivität, Verdrängen, Aussitzen oder Auf-die-lange-Bank-Schieben nichts zu tun. Sondern meint, Dinge mal ruhen zu lassen, sie reifen zu lassen. Denken Sie an Wein z. B., das kann sehr produktiv sein. Und auch lecker. Und wenn man die Herkunft des Wortes bedenkt, nämlich dass „Warten“ ursprünglich meint, „auf der Warte wohnen“, also den erhöhten Standpunkt haben, einen Überblick bekommen, Ausschau halten und bewachen, dann ist das ein sehr guter Standpunkt für das Leben im Advent. Und für die Frage, was eben nicht quer und vor allem laut und sonst nichts ist, sondern was wirklich wichtig ist und einen größeren Horizont hat. Wer weiß, vielleicht belächeln wir irgendwann diese Zeit, und sagen: Wer weiß, wofür das alles gut war.

Und ein drittes, ein bisschen an das Letzte anschließend: Warten kann auch bedeuten – so wie man sein Auto warten lässt – warten kann eben auch bedeuten, auch mal seine Seele und sein Leben zu warten oder warten zu lassen. Mal prüfen, was sich so tut an Leib und Seele, wahrnehmen, wo es nicht rund läuft, holpert oder gar Aussetzer gibt. Achtsam sein und werden, sehen, wo Schadstellen sind, was fehlt, was repariert werden müsste. Was helfen kann. Und dann eben nicht überquellende Weihnachtsmärkte und rappelvolle Kaufmeilen zu vermissen, sondern den wieder in den Blick zu bekommen, der helfen kann. Oder wie es im Adventslied heißt: Ich lag in schweren Banden / du kommst und machst mich los / ich stand in Spott und Schanden / du kommst und machst mich groß / und hebst mich hoch zu Ehren / und schenkst mir großes Gut / das sich nicht lässt verzehren / wie irdisch Reichtum tut.

Denn es ist noch nicht aller Tage Ende. Und die Herren der Welt kommen und gehen, und auch Corona wird gehen, das ist meine feste Überzeugung, die Herren der Welt kommen und gehen, unser Herr aber kommt.

Ich weiß natürlich auch, angesichts der Infektionszahlen und der medizinischen Nachrichten, die uns spätestens morgen wieder quälen, auch angesichts der Menschen, die wir eben nicht treffen und schon lange nicht in den Arm nehmen dürfen, da klingt das ein bisschen wie: Wunder gibt es immer wieder. Aber: Lottogewinne gibt es auch immer wieder. Klar, eins zu weiß ich wieviel 100-Millionen ist die Chance auf den Jackpot. Aber es gibt sie. Und ein Dreier oder Vierer ist ja auch nicht zu verachten.

Darum nochmal: Das ist nicht der Endzustand.
Auf der Beerdigung von Michael Kirchhoff, über 10 Jahre ist das jetzt schon her, habe ich davon erzählt, dass bei Einladungen im Hause Kirchhoff die Köstlichkeiten und guten Dinge nach dem Essen noch nicht abgeschlossen waren. Denn irgendwann zu späterer Stunde, und alle wussten das und freuten sich, ging Frau Kirchhoff noch einmal in die Küche, um dann mit sehr leckeren und sehr ansehnlichen Portionen von Eis wieder zu erscheinen.
„Bei Kirchhoffs, da kommt immer noch was.“ So war das und so habe ich das bei der Trauerfeier gesagt und zugleich auch auf diesen Anlass bezogen.

„ So seht nun auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ Der Wochenspruch. Da kommt immer noch was. Da geht immer noch was. Auch für uns und auch jetzt noch.

Und in dem Zusammenhang, ich habe einen neuen Ohrwurm, von der Kapelle Petra, warum immer die so heißt. „Noch nicht Schicht“, so der Titel, und die erste Strophe:

An irgendeinem Tag wird die Welt untergeh’n

Doch an allen andern Tagen halt nicht

An irgendeinem Tag ist das alles vorbei

Aber jetzt ist noch nicht Schicht

Irgendwann geh’n irgendwie die Lichter aus

Und bis dahin machen wir das Beste draus

Darum seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe. Amen

12. Juli 2020 – Erwitte und Anröchte

Lukas 5, 1-11

Der Fischzug des Petrus

Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth
(2)und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze.
(3)Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.
(4)Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!
(5)Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.
(6)Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische, und ihre Netze begannen zu reißen.
(7)Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, so daß sie fast sanken.
(8)Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir!  Ich bin ein sündiger Mensch.
(9)Denn ein Schrecken hatte ihn erfaßt und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten,
(10)ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.
(11)Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.

Liebe Gemeinde,

wenn ich jemandem zum Geburtstag gratuliere, dann ganz oft auch mit den Worten: Und ich wünsche dir, dass du immer etwas hast, worauf du dich freuen kannst. Und ich finde das wichtig, wichtig, etwas zu haben, worauf man sich freuen kann. Denn sonst wäre Leben doch Stillstand. Mehr noch. Beinahe schon Aufgabe oder Resignation..

Weil das doch hier eigentlich noch nicht alles gewesen ein kann. Noch nicht der Endzustand der Welt und unseres Lebens ist und sein darf. Weil Leben mehr ist und sein muss als nur Überleben. Und auch, weil man sich doch nicht mit allem zufrieden geben muss, nur weil es mal gerade funktioniert.

Das kann doch noch nicht alles gewesen sein. Und damit ist mehr gemeint, viel mehr als nur die Hoffnung auf einen Impfstoff gegen das Corona-Virus – und gegen die 15 anderen Viren, die höchstwahrscheinlich auch noch kommen werden. Das ist viel mehr als nur als nur die Erwartung der nächsten kleinen Lockerung oder sogar das Ende der Corona-Zeit. Das auch, ja, natürlich. Aber, so merkwürdig das gerade jetzt in dieser Zeit klingen mag, irgendwie doch zu wenig, denn danach wäre es doch auch bloß wie vorher.

Nein, ich finde, das kann noch nicht alles gewesen sein. Wenn der liebe Gott uns einen neuen Himmel und eine neue Erde versprochen hat, wenn das Licht der Welt und das Brot des Lebens keine leeren Floskeln sein sollen, dann muss da noch mehr sein. Dann muss da mehr drin sein für uns.

Und damit sind wir mitten drin in der Geschichte von diesem Petrus und dem Fischfang.

Die Geschichte von einem Mann, der so was von alltäglich war, dass man ihn höchstwahrscheinlich übersehen hätte. Ein Mann, der immer genau das tat, was alle von ihm erwarteten. Aber weitere Ambitionen oder Ziele oder Träume? Fehlanzeige. Der war wie er war, und er funktionierte anscheinend. Also genau so was von banal und normal und mittelmäßig wie wir das oft sind. Oder sogar zu oft. Oder immer. Wir nennen das dann Zufriedenheit. Aber besser nicht dran kratzen. Damit man nicht merkt, dass man langsam aber sicher den Tod am Brot allein stirbt.

Und dieser Mann und sein Leben, die werden in einer Art und Weise auf den Kopf gestellt und verändert, wie man es kaum für möglich hält. Mit einer Geschichte, die uns erzählt: Man muss nicht immer die so genannten Sachzwänge – in diesem Fall: man fischt nicht am Tage, da fängt man nichts – für allmächtig halten und ihnen gehorchen. Sondern man kann auch mal was anderes oder auch das Unerwartete oder meinetwegen auch mal was Verrücktes tun. Und auf einmal tut sich was. Es wird neu und anders.

Und wenn ihr an das denkt, was danach aus diesem Petrus und diesen winzig kleinen Anfängen am See Genezareth, was  dann daraus geworden ist, sogar durch alle Niederlagen und alles Versagen hindurch, so, dass noch bis heute unzählige von diesem Menschenfischer zehren, reizt das nicht wenigstens, unter dem ganzen Staub des Lebens und dem Müll der Jahre mal nachzuschauen: Was schlummert da noch, und was könnte auch jetzt aus mir und meinem Leben noch werden? Oder anders: Ich könnte doch auch mal mein Netz auswerfe, mein Netz nach dem Leben auszuwerfen, mal sehen, was sich da so alles einfangen lässt. Und ich finde übrigens auch, das muss man bei einer Gottesdienstgemeinde heutzutage ja sagen, das ist keine Frage des Alters. Ich habe die 70 ja jetzt auch hinter mir, ich darf das sagen. Auf dem Friedhof, und ich schließe mich damit ein, auf dem Friedhof wird es lang und friedlich und ruhig genug. Gut, dass unser Herr uns da noch nicht haben will. Also, was geht?

Und, was passiert? 3 Bremsen, oder meinetwegen auch 3 Stoppschilder.

Zum ersten natürlich: „Ob das wohl gut geht? Das kann ja nur schiefgehen. Und hier weißt du doch, was du hast. Mach dich doch nicht unglücklich.“ Wobei das ja eben nicht heißt: „Bleib doch lieber glücklich.“ Und ich selbst, ich bin ja genauso, aber ich finde, da lacht einen diese Geschichte förmlich aus: „Traut Ihr dem Herrn da so wenig zu? Ihr seht und lest doch, dass man mit ihm Riesenfänge machen kann, über Mauern springen, Berge versetzten. Und warum soll das schiefgehen? Sich von ihm einfangen zu lassen? Und außerdem, sein Netz, das bringt euch doch eben gerade nicht in die Fischfabrik oder ins Schlachthaus von Herrn Tönjes und Konsorten Im Gegenteil, sein Netz das rettet euch vor dem Tod und all seinen Helfern, und das trägt und hält euch in allen Wechselfällen diese Lebens. Und darüber hinaus. Denn das reißt nicht mal, ihr habe es gehört.

Und dann sind wir fast so weit, uns da einfangen zu lassen und auch unser Netz nach dem Leben auszuwerfen, auf einmal ist da die zweite Bremse. Und – man hat ja unser Selbstbewusstsein oft genug zertrampelt – dann sagen wir entweder: Ich würde, wenn ich wüsste, wie es wäre, wenn ichs täte.. . Also, wir trauen uns nichts mehr zu. Oder wir sagen es ganz klassisch wie Petrus: „Herr, geh weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch.“ Was bei uns meist heißt: „Also dafür tauge ich nicht. Ich schaffe das nie. Dafür bin ich ein viel zu kleines Licht. Ich trau mich nicht.“ Und Jesus sagt: „Fürchte dich nicht. Los. Komm einfach mit.“ Und dann geht das los, ins neue und weite Land. So einfach ist das. Siehe Petrus.

Aber, dann ist da ja heutzutage noch diese dritte Bremse, die, die unser Leben so was von radikal gestoppt und eingesperrt hat, die Pandemie. Was soll man sich da schon trauen? In solchen Zeiten?

Ehrlich, eine ganze Menge. Denn man kann ja natürlich auf ein Ende dieser Zeit warten und brav im Kämmerchen darauf hoffen. Man kann das aber auch als tolle Möglichkeit sehen, den Aufbruch zu probieren. Mal auszuprobieren, was trotzdem alles möglich ist, welche Türen sich auftun, welche Menschen man – wenn auch auf Abstand – ganz neu und anders kennenlernt. Das wäre doch reizvoll unter Beachtung aller Einschränkungen trotzdem mal auszuprobieren, was so alles geht. Und da geht eine Menge. Und was man alles machen kann.

Natürlich erstmal diesen „Geiz-ist-geil-Gedanken“, die Anbetung von Exportzahlen vor allem nach China, die „Billig-Einflüsterer (schreckliche Frauenstimmen, wie ich finde) und nicht zuletzt die tierquälende Fleischproduktion aus dem Kopf zu kriegen. Und aus dem Land. Und einen unfähigen Verkehrsminister und eine peinliche Landwirtschafts-ministerin dazu. (Gönnen wir ihnen die stressfreie Zeit danach.) Das im Großen, und wir können jetzt schon anfangen, Strategien dafür zu entwickeln.

Und im Kleinen geht doch auch so einiges, und sie wissen, ich habe einen Hang zu solchen Beispielen. Kleinen Beispielen: Unser Abendkreis hat sich in den Kurpark aufgemacht, immer schön zu zweit aber mit Kaffee von der Crepe-Bude dort. Ein paar andere haben Hotlines aufgebaut und manche sogar WhatsApp gelernt. Und wieder andere haben gelernt, dass gerade diese Zeit die netten Leute noch netter und die Blöden noch blöder gemacht hat. Das lässt doch hoffen für die Zeit danach. Der Gesprächskreis hat sich sehen lassen ohne zu gefährden, und der Posaunenchor hat nicht gewartet, sondern ist selbst aktiv geworden, siehe heute. Also, was geht alles noch, jetzt schon und danach um so mehr? Auch persönlich.

Ich habe am Anfang dieser Zeit mal gesagt: Es gibt Leute, die rechnen immer mit dem Schlimmsten. Und sie erfahren oder erleiden dann mindestens das zweitschlimmste. Also rechne ich doch lieber mit dem Besten. Und mit dem einen, von dem ich sage: „Nur auf sein Wort hin will ich die Netze nach dem Leben auswerfen.

Amen.