29./30.09. 2018 Bad Westernkotten – Erwitte – Anröchte

Markus 12, 28-34
Und es trat zu ihm einer von den Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Und als er sah, daß er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen?
(29)Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein,
(30)und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften«
(31)Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« Es ist kein anderes Gebot größer als diese.
(32)Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Meister, du hast wahrhaftig recht geredet! Er ist nur einer, und ist kein anderer außer ihm;
(33)und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer.
(34)Als Jesus aber sah, dass er verständig antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen.

Liebe Gemeinde!


Wenn Sie das Evangelium, den Predigttext, noch im Ohr haben: Es klingt ja fast wie eine Aufzählung oder Aneinanderreihung von Selbstverständlichkeiten. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften.“ Natürlich, was denn sonst. Denn niemand wird doch die Hand beißen, die einen füttert.
Und wenn man nur mit einem Funken Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit darüber nachdenkt, was einen bis hierher gebracht hat. Wer einem alles und womit geholfen hat. Welche Chancen sich einem manchmal wie aus heiterem Himmel eröffnet haben. Was einem alles unverdient zuteil geworden ist. Wie viel Menschen einem manchmal als kleine und manchmal als große Engel begegnet sind. Welches Wunder, dass man nicht für alle seine Fehler, eigentlich nur für die Allerwenigsten wenn überhaupt, welches Wunder, dass man dafür eben nicht bezahlen musste und gezeichnet wurde. Wie oft man bewahrt worden ist. Was für wunderschöne Dinge man gesehen und erlebt hat. Und wie herzlich wenig das bei all dem eigener Verdienst gewesen ist. Wenn man einmal nur mit einem Funken Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit darüber nachdenkt, und auch nach dem Grund und nach dem Geber dieser Güte und Gnade fragt, dann sollte man sehr schnell ganz demütig werden und dem heftig nickend beipflichten, uneingeschränkt zuzustimmen: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften.“ Und das nicht als Pflichtprogramm, sondern aus Dankbarkeit. Da kann man gar nicht anders. Selbstverständlich.
Niemand beißt die Hand, die einen füttert. Und deshalb auch nicht das, was dieser Hand, also was Gott am Herzen liegt. Und darum den Nächsten lieben, wie sich selbst. Den Nächsten, die Nächste, das Nächste, denn auch Natur und Kreatur sind da eingeschlossen. Und damit wäre schon alles gesagt. Und alles selbstverständlich. Was und wie denn sonst.
Nur, dann ist da noch diese kleine Zusatzbemerkung: „Liebe sie wie dich selbst“. Und das, das ist gar nicht so einfach, sich selbst zu lieben. Und manchmal extrem.
Denn da gibt es die, die haben gerade bei der Eigenliebe eine Übererfüllung so was von drauf. Die halten sich selbst für so was von großartig und konkurrenzlos. Und wenn die morgens vor dem Spiegel stehen, dann möchten sie vor Ehrfurcht zerfließen angesichts des Meisterwerkes, das dem lieben Gott gelungen ist, als er gerade sie mit ihrem Luxuskörper erschaffen hat. Und fallen nur deshalb vor Bewunderung nicht auf die Knie, weil sie ja dann aufs Waschbecken gucken – so ist das in deutschen Badezimmern – , weil sie sich ja dann selbst nicht mehr sehen können. Nur, möchten Sie so jemanden als Nächsten und dann auch noch nahebei haben? Vor allem dann – Geist und Liebe bleiben, Schönheit vergeht – vor allem dann, wenn der Lack ab ist, und der bröckelt irgendwann. Und wenn dann flippige Klamotten, jugendliches Gehabe und der Schönheitschirurg den Zahn der Zeit besiegen sollen? Und es nicht schaffen. Und die von einer Depri in die andere stürzen? Ich jedenfalls möchte diese Gruppe doch lieber verlassen. Glaube nicht, dass Jesus das so mit der Eigenliebe gemeint hat.
Aber dann gibt es als zweites die, die lieben sich selbst so sehr, dass alles, was sie planen und machen auf den Satz hinausläuft: „Das tue ich jetzt nur für mich selbst.“ Und tun wirklich nur was für sich selbst. Auch das ist am biblischen Gebot und Gedanken vorbei, und das nicht nur haarscharf.
Als nächstes, bei Selbstverliebtheit, das könnte man natürlich noch auf Politikerinnen und Politiker und auch Amtsträger kommen. Wenn denen das Gespür für die Menschen verlorengegangen ist. Oder auch für die Anständigkeit, die früher noch Amtsträger und Funktionäre – fast in Maßen oder verfassungsschutzgemäß – zum Rücktritt bewegt hat.
Ja und schließlich, und manchmal denke ich, das werden immer mehr, aber das muss wohl am Alterspessimismus liegen, dann gibt es noch diese Dauer-Prinzen und Nur-noch-Prinzessinnen. Denn die glauben wirklich, alle anderen seien ausschließlich dafür da, sie glücklich zu machen, während sie selbst gar nichts dazu beitragen müssten. Und wenn das dann nicht klappt, Szenen, Tränen, Vorwürfe, Trennung, Scheidung, Feierabend. Wann sagt denen mal einer, angefangen von den Eltern übrigens, dass Leben so nicht geht. Und dass auch das nichts damit zu tun hat, sich selbst zu lieben. Von Liebe zu Gott oder Nächstenliebe erst gar nicht zu reden.
In diesem Zusammenhang: Ich habe vor 14 Tagen einen Vortrag von einer Kriminalpsychologin gehört. Über Psychopathen. Und die nannte als Kriterienkatalog u. a. das, was die katholische Kirche als 7 Todsünden bezeichnet. Von denen die erste Hochmut ist. Oder Stolz. Eitelkeit, Übermut, Narzissmus. Und wem – Kriterium für Psychopathen – wem das keine Warnung vor falscher oder übertriebener Eigenliebe ist, dem oder der ist möglicherweise nicht mehr zu helfen.
Aber genug der egoistischen Geisterbahn-Schilderungen. Auch wenn ja Schurkenrollen immer dankbarer zu spielen und darzustellen sind. Denn, es gibt ja auch noch die andere Seite. Und auf der anderen Seite, da gibt es eben auch die, die sich selbst für gering erachten, von sich selbst nichts mehr erwarten oder halten. Oft, weil sie allein sind, oft aber auch, weil das Selbstwertgefühl zertrampelt worden ist. Und sich dann selbst gehenlassen, für sich selbst nicht mehr kochen, kaum auf ihr Äußeres achten, sich nichts mehr vornehmen, nicht mehr unter Leute gehen, sich auf dieses Weise schon fast vom Leben verabschieden. Und das sind ganz traurige Geschichten.
Genau wie die von denen, die sich ganz freiwillig zum Aschenbrödel machen, immer nur was für andere tun, sich selbst mit ihren Bedürfnissen abschotten, sich aufgeben um der anderen willen. Und auch die werden nicht glücklich, genauso wenig wie die Objekte ihrer Selbstaufgabe. Man nennt so etwas Altruismus, und das kann ein Krankheitsbild sein. Mülleimer zu sein oder Fußmatte zum Abtreten, das ist nicht empfehlenswert, schon lange nicht als Persönlichkeit oder Lebensziel.
Und gerade diesen Letzten und Vorletzten, und da finde ich uns ja am ehesten wieder, zu denen sei gesagt, denn das ist doch wohl Jesu Zielgruppe: Do sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Wie dich selbst. Sich selbst zu lieben. Sich selbst wertzuschätzen und anzunehmen. Nicht zuletzt, weil man Gottes Kind ist. Das steht da nicht umsonst im Gebot. Das ist wichtig. Und das geht. Sagt Jesus. Und will es auch. Denn nur, wer sich selbst liebt und annimmt, der kann andere lieben und annehmen.
Ich will Ihnen und Euch dazu eine Geschichte erzählen. Eigentlich ist das ein Bilderbuch: Die schrecklichen 5. Da treffen unter einer Pariser Seine-Brücke 5 Gestalten zusammen, die wir in der Regel ziemlich unappetitlich finden. Und sie sich selbst auch, genauso wie uns das manchmal geht.
Eine Kröte, eine Spinne, eine Ratte, eine Fledermaus und ein Hyäne. Am Anfang giften die sich nur an, auch, weil sie sich nicht selbst schön finden, sich nicht annehmen können. Und anstatt sich zu helfen und sich aufzubauen, da bejammern und bemitleiden sie sich nur selbst und – sie machen sich gegenseitig gnadenlos fertig. Parallelen zu uns Menschen nicht nur zufällig.
Aber dann auf einmal – man bedenke, es ist ein Bilderbuch – fängt die Hyäne an, Saxofon zu spielen. Und bei ihrem Spiel, das vergessen sie das alles. Mehr noch. Auf einmal singt die Spinne dazu, da pfeift die Fledermaus und die Ratte spielt Ukulele. Und auf einmal verändert sich die Atmosphäre, fast schon zauberhaft, das trägt sie alle, lässt sie fast schweben. Ja, ich weiß, man könnte hier auch sagen, die machen nur was für sich, aber ich finde, das hat hier einen ganz anderen Klang und eine ganz andere Qualität als oben. Also vielleicht besser: Sie lernen an dieser Stelle, dass sie doch auch wer sind, dass sie auch etwas können, dass das Leben nicht an ihnen vorbeigehen muss.
Nur – Sie haben es vielleicht gemerkt – die Kröte, die kann da nicht mithalten, ist völlig unmusikalisch. Aber als der letzte Ton verklungen ist, da platzt es förmlich aus ihr heraus: Ich kann Pfannkuchen backen.
Und also beschließen die 5, gemeinsam ein Lokal aufzumachen, eine Pfannkuchenbude mit Musik. Es geht auch ganz schnell, Tische und Stühle, Herd und Geschirr sind schnell besorgt, die Fledermaus verteilt Einladungen in der ganzen Umgebung. Und dann kommt der erste Abend, der Abend der Eröffnung. Die Kröte backt Riesenberge von Pfannkuchen und die anderen 4 als Bedienungspersonal erwarten mit ihren Instrumenten die Gäste.
Und es kommt keiner. Nichts. Gar nichts. Und da heißt es dann: „Allmählich machte sich eine gedrückte Stimmung breit. Jedes der Tiere gab sich die Schuld daran, dass keiner kam. Die Fledermaus dachte, sie habe nur Schrecken verbreitet, die Kröte fühlte sich inmitten der Pfannkuchen sehr unappetitlich, die Ratte starrte stumm und misstrauisch und die Spinne hatte einen verbitterten Zug um den Mund.“ Da war es wieder. Sich selbst nicht annehmen, sich selbst nicht lieben können. Und alles wird nichts.
Die Hyäne hat wieder einmal die rettende Idee. Sagt nämlich: „Wir haben Musik, wir haben Pfannkuchen, wir haben uns.“ Und dagegen war nichts zu sagen.
Und wir – an diesem Punkt angelangt – würden sagen, sollten sagen: „Wir sind doch auch wer.“ Und sollten es uns immer wieder sagen: „Wir sind doch auch wer.“ Und sagen lassen. Und das ernst nehmen.
Die 5 jedenfalls, die tun es. Weil sie sich plötzlich selbst wertschätzen. Und man eben was für sich selbst tun muss und darf, wenn man was für andere tun will. Doch man beachte, beides gehört zusammen, eins geht nicht ohne das andere. Nur wer sich selbst annimmt, kann andere annehmen und lieben.
Und dann legen die 5 los. Mit Musik und Pfannkuchen. Wie sowieso die Welt mit einem Pfannkuchen im Bauch schon wieder ganz anders aussieht. Und auf einmal strömt es nur so. Von allen Seiten kommen die Gäste. Sogar Gänse und Füchse, und die Füchse vergessen bei all dem Trubel sogar, die Gänse zu fressen. Und, Zitat: „es wurde eine wundervolle Nacht.“ Und dann jeden Abend.
Ich bin doch auch wer. Wir sind doch auch etwas wert. Ja, sagt Gott. Genau so ist das. Weil ich euch gewollt habe und liebe und begleite und halte. Und dann geht das. Gott lieben und seinen Nächsten wie sich selbst. Und wenn Ihr mal wieder Schwierigkeiten mit letzterem habt, denkt an die Geschichte. Die erzählt mehr über uns, als wir oft denken. Und sagt Euch dann: Ich bin doch auch wer.
Amen