Tageslosung
Wie kehrt ihr alles um! Als ob der Ton dem Töpfer gleich wäre, dass das Werk spräche von seinem Meister: Er hat mich nicht gemacht! und ein Bildwerk spräche von seinem Bildner: Er versteht nichts!
Jesaja 29,16
Alle miteinander bekleidet euch mit Demut.
1. Petrus 5,5
Heute einmal beides, Tageslosung und sog. Lehrtext. Denn das entscheidende Stichwort für mich steht am Ende:
Demut.
Zu Anfang meines Dienstes habe ich in der Gemeinde jede und jeden zum 70. Geburtstag besucht. 70 Jahre, das war damals schon was. Der Gruß der Gemeinde samt Glückwunsch war aber nur das eine. Das andere war der Gedanke, diejenigen kennenzulernen, die ich früher oder später zu Grabe geleiten würde. Denn die Männer bei uns wurden damals knapp 65 Jahre alt, die Frauen knapp 75.
Jahre später habe ich das dann eingestellt. 70 zu werden war inzwischen fast schon eine Selbstverständlichkeit, und der Besuch des Pastors oft kaum noch Grund zur Freude: „Jetzt kommt schon der Pastor. So weit ist es mit mir.“
Inzwischen bin ich selbst in diesem Alter. Im Vergleich zu meinen Eltern – meine Mutter gar nicht so alt geworden, mein Vater da schon Pflegefall – bin ich richtig gut drauf. Und ich weiß das und bin auch dankbar dafür. Auf einmal ab er muss ich in der Corona-Krise erfahren, dass ich zur Risikogruppe gehöre. Einige lassen mich das auch merken, ob es mir passt und gefällt oder nicht. Und ich oder wir haben doch immer gedacht: „Das mit dem Alter, das betrifft uns doch nicht.“
Allerdings: „Wenn du mit 50 aufwachst, und dir tut nichts weh, dann bist du tot.“ Vor 20 Jahren habe ich darüber noch gelacht. Heute eher weniger, auch wenn es mir und meiner Generation so viel besser geht als der unserer Eltern.
Damit bin ich – langer Vorspann – bei der oben angesprochenen Demut. Dankbar zu sein über jedes geschenkte Stück Leben und nicht so viel als selbstverständlich ansehen oder sogar einfordern. Und zufrieden sein, solange ER das schenkt.
Trotzdem möchte ich mir das nicht ständig von irgendwelchen belanglosen Bildchen oder Filmchen oder Aktiönchen sagen lassen. Die erinnern mich in manchen Teilen zu sehr an Durchhaltepropaganda aus unguten Zeiten, die oft nur verschleiert haben. Und ich erkenne zugleich den Wert u. a. der Poesie.
Darum ein Vers von Dylan Thomas, den meine Frau gefunden hat, und der mir nicht zuletzt auch bei der letzten Beerdigung weitergeholfen hat:
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
Die da liegen in Wassergewinden im Meer
Sollen nicht sterben windig und leer;
Nicht brechen die die ans Rad man flicht,
Die am Rechen man bricht, deren Sehnen man zerrt:
Ob der Glaube auch splittert in ihrer Hand
Und ob sie das Einhorn des Bösen durchrennt,
Aller Enden zerspellt, sie zerreißen nicht;
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.