13. und 14. Januar 2018 – Bad Westernkotten, Erwitte und Anröchte

Römer 12, 9-16

Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an.

(10)Die geschwisterliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor.

(11)Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn.

(12)Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.

(13)Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft.

(14)Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht.

(15)Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden.

(16)Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen. Haltet euch nicht selbst für klug.


Liebe Gemeinde,

„Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in einer Garage steht.“

Das kann man so und so sehen. Also erstmal so, mit einem ersten Blick auf den Predigttext.

Denn haben Sie mal mitgezählt? Vorhin bei der Verlesung dieses Abschnitts aus dem Römerbrief? 20 Mal der erhobene Zeigefinger in gerade mal 100 Worten. Das muss dem Apostel erst mal einer nachmachen. In 8 Sätzen 20 Mahnungen, Ermahnungen oder Aufforderungen unterzubringen.

Da fühlt man sich ja fast so wie damals, als man als Teenager auf die erste Party gegangen ist, und wo die einen die Eltern vorher kräftig ins Gebet genommen haben. Oder wie vor der ersten Urlaubsreise allein, oder nur mit Freunden. Oder dem ersten Tag in der Lehre oder im Studium. Wobei ich mir ja nicht so sicher bin, ob wir damals überhaupt richtig hingehört haben. Und weniger sicher noch, ob wir all das dann auch wirklich befolgt haben. Eher schon glaube, dass wir gedacht haben, oder vielleicht auch gesagt: Muss das jetzt sein? Muss ich mir das nun alles, diese ganze Litanei, in die Ohren blasen lassen?

Ja, und dann ist man groß geworden. Oder trotzdem groß geworden. Da denkt man, man hat das alles hinter sich. Und jetzt das Ganze auch noch mal oder schon wieder aus der Bibel. 20 Ermahnungen, wie ein Trommelfeuer. Muss das sein?

Der Apostel Paulus meint: Ja. Wobei es ihm natürlich nicht um eine Party geht oder um eine Urlaubsreise. Und auch nicht so ganz direkt um Studium oder Lehre. Obwohl, wenn ein Freund, und der hat früher Lehrlinge ausgebildet, wenn der manchmal erzählt hat, mit welchen Einstellungen und Erwartungen aber auch mit welchem Erscheinungsbild von ´Hände in den Taschen` ´bis Kappe auf dem Kopf` Jugendliche wie auch Eltern da zur Vorstellung im Betrieb aufgelaufen sind, dann kommt man den Absichten des Apostels schon näher. Zumal all das ja schon Rückschlüsse auf weitere Lebenshaltungen zulässt.

Weil die Form das Gefäß des Geistes ist. Und das ist der Punkt. In diesem Fall geht es dem Apostel um das Leben der Christinnen und Christen, nämlich ob es gelingt und glaubwürdig ist. Und es geht ihm um das Erscheinungsbild der christlichen Gemeinde. Eine Gemeinde, die ja die Menschen und die Welt an Leib und Seele fördern oder auch befördern soll.

Und da ist dieser Satz ja gar nicht so falsch. Er stammt übrigens von Albert Schweitzer, dem Theologen und späteren Urwalddoktor, und der durfte das nun wirklich sagen: „Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in einer Garage steht.“

Und in einer Kirche oder Gemeinde da will und soll und darf die Liebe Gottes eben nicht nur erfahren und für sich selbst angenommen, da darf sie auch nicht nur verkündet werden, da soll sie auch nach außen gelebt und praktiziert werden. Sie soll erfahrbar werden. Sonst – sie verzeihen die Wortwahl – sonst läuft die Karre Kirche nicht, sonst hilft sie keinem Menschen und fördert oder befördert nichts und niemanden, sonst bringt sie nichts weiter, sondern mutiert irgendwann zum Schrotthaufen. Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts.

Trotzdem aber jetzt nicht noch einmal alle 20 Ermahnungen geballt über Ihr und Euer Haupt ausgeschüttet. Es gibt Dinge, da reicht es, muss es reichen, wenn sie einmal kurz und knapp gesagt sind, siehe auch die 10 Gebote.

Außerdem ist es keine gute pastorale Rolle, sich mit dem Gedanken hier vorn aufzubauen: „Heute hat sie der Herr in meine Hand gegeben. Und dann gib´s ihnen.“ Es könnte nämlich sehr leicht als Urteil oder Spott zurückkommen: „Pastoren sind wie Wegweiser. Sie zeigen den Weg, aber sie gehen ihn nicht.“ Oder predigen Wasser und trinken selbst Wein.

Und darum doch lieber zwei Hinweise, auf das, was leicht überhört wird. Oder übersehen. Nämlich auf die Klammer, in der alles steht. Ganz am Anfang die Aufforderung zur Liebe. „All eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.“ So drückt das der Apostel an anderer Stelle aus.

Lasst alles in Liebe geschehen. Das ist die Frage nach der Einstellung. Nach dem Vorzeichen vor der Klammer. Mit dem Guten rechnen, Die Menschen sind, wie sie sind. So hat sie der liebe Gott hingestellt, und da kann man sich keine anderen schnitzen. Habt sie trotzdem lieb. Oder gerade deshalb.

Und die andere Klammer am Ende: Der deutliche Hinweis: „Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen. Haltet euch nicht selbst für klug.“ Also seid nicht überheblich. Und die alte und ziemlich verstaubt klingende Tugend, die man Demut nennt, sie ist lange nicht das Schlechteste.

Also, wenn Gott sich zu Weihnachten schon so tief zu Euch runter gebeugt hat, warum ihr nicht auch.

Und darum eben doch mal dem zur Seite springen, der auf dem Schulhof gehänselt und abgeschoben wird. Darum doch einmal zu dem halten, der in der Firma gemobbt wird. Oder die besuchen, deren alte Geschichten und Klagen keiner mehr hören kann und will. Oder sich mit denen befassen und sie unterstützen, die es wirtschaftlich nicht mehr packen. Eben auf die andere Seite gehen. Nur so sind Gemeinde und Christen glaubwürdig.

Aber natürlich fragt man sich dabei nicht nur einmal nach dem Sinn. Nein, nicht, ´was habe ich davon?` Das ist keine christliche Frage. Und wenn Jesus sie gestellt hätte, was wäre aus uns geworden. Aber es sind die Fragen: was ist dann eigentlich mit den Enttäuschungen, die ich da erlebe? Was ist mit meinem Einsatz, der nicht hilft? Mit der Undankbarkeit, die ich dann auch erfahren kann? Mit all dem, was ich mit Herzblut schreibe, und wo nichts zurückkommt? Oder ich ausgenutzt werde? Und immer noch mehr und immer nur geben soll.

Genau in der Mitte des Textes steht da der zweite Hinweis: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.“ Nicht mehr aber auch nicht weniger. Und um darauf zu kommen oder das können, dann doch noch einmal der Vergleich zwischen Christen und Auto, zwischen Kirche und Garage. Den man so und so sehen kann.

Man wird natürlich kein Auto, nur weil man in einer Garage steht. Man wird natürlich nicht zum Christen, nur weil man die Kirche besucht. Aber um im Bild zu bleiben:

Autos, die in einer ordentlichen Garage übernachten, haben ein geschützteres Leben. Im Winter wird die Batterie nicht so schnell leer. Der Marder frisst nicht so schnell Antennen und Kabel an. Es ist vor Stürmen und Dieben zwar nicht sicher, zumindest aber doch geschützt. Und wenn es wieder einmal geschneit hat und friert, sind Eiskratzen und Schneefegen nicht nötig. Es geht leichter und schneller los.

Menschen, die die Kirche besuchen, weil sie die nicht als Museum, sondern als Ort der Gottesnähe betreten, haben ebenfalls ein geschützteres Leben. An jedem Punkt des Lebens ist hier erfahrbar, dass Gottes Liebe größer ist als alles Leistungsdenken und alle Wechselfälle des Lebens. Eine Gemeinschaft, wo Gott zu jedem einzelnen sagt: du bist und bleibst in mir gut aufgehoben. Und ich kümmere mich um dich. Und dein Weiterkommen liegt mir am Herzen. Und darum musst du das alles nicht auf einmal können und tun, aber du darfst es und du kannst es und es wird dir gelingen, immer mal wieder auf die andere Seite zu gehen, nach unten, Grenzgänger zu sein.

Und in einer postreligiösen Gesellschaft, die nichts mehr zu haben scheint, was alle angeht, nichts für alle Verbindliches, nichts, was Menschen aneinander bindet, verbindet, zusammenhält, keine wirklichen Gemeinsamkeiten mehr hat, und vor allem, die niemanden auffängt, weil jeder für sich selbst gesehen wird und jeder auch nur sich selbst noch sieht, in solcher postreligiösen Gesellschaft, unter der wir leiden, manchmal das ganze Land leidet, weil es keine wirklichen Antworten mehr auf die drängenden Fragen des Lebens gibt, da ist das mehr als nur ein unverbindliches oder beliebiges Angebot.

Also: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.“ Das könnt ihr dann, und so halte ich euch startklar, so halte ich euch am Laufen, halte euch und euer Herz in Gang. Versucht es doch einfach mal.

Amen