4. November 2018 – Erwitte und Anröchte

Apostelgeschichte 17, 22 ff

(22)Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, daß ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt.
(23)Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt.
(24)Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind.
(25)Auch läßt er sich nicht von Menschenhänden dienen, wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt.
(26)Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen,
(27)damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns.
(28)Denn in ihm leben, weben und sind wir;
(34)Einige Männer schlossen sich ihm an und wurden gläubig; unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen.

Liebe Gemeinde,


„ … darum gehet hin und macht zu Jüngern alle Völker … .„ Der Taufbefehl, der Missionsbefehl Jesu. Und das hat der wirklich so gemeint. Für damals und für heute.
„Gehet hin und macht zu Jüngern alle Völker.“
Und deswegen geht der Apostel Paulus auf seiner Missionsreise nach Athen. Neben Rom das vor allem geistige Zentrum der damaligen Welt. Athen mit dem Areopag, so etwas wie ein Beratungs- und Marktplatz. Dahin geht Paulus. In die Höhle des Löwen, wenn man so will. Aber zumindest mitten hinein in das Zentrum der geistigen Auseinandersetzung damals. Um alle zu Jüngern Jesu zu machen. Denn wenn er da Erfolg hat, dann wird er ihn überall haben. Mehr noch, dann wird von da aus die damalige Antike in Windeseile eine christliche sein.
Allerdings, um es vorwegzunehmen, und Sie haben das Ende ja auch gehört: sein Erfolg ist eher mickrig. Obwohl er das, wie ich finde, richtig klasse macht. Mit dem Hinweis auf den Altar für den unbekannten Gott. Wo er die Schwachstelle sucht und findet. Diesen Rest Unsicherheit, oder Frage oder auch Angst, den diese vorgeblich so großartigen und selbstbewussten Leute ja doch noch mit sich rumtragen. Aber so richtig verfängt das ja nicht. Ein paar Leute oder versprengte Gestalten, die dann ihm aber vor allem an Jesus glauben. Mehr nicht. Obwohl man die kleinen Leute nie unterschätzen soll. Die sind das nämlich oft, die diese Welt zusammenhalten. Aber die, auf die es Paulus hier eigentlich ankam, die Philosophen und anderen Gelehrten, die verspotten ihn nur und lachen ihn aus. So im selben Kapitel zu lesen.
Also: Klappe zu, Affe tot. Mission beendet und ab in die Mottenkiste. Könnte uns so passen. Schon allein aus Bequemlichkeit. Sollte es aber nicht, denn beides ist noch da. Der Missionsbefehl. Und auch die Situation auf dem Areopag, dem Marktplatz. Der ja hier das Leben, unser Leben, und unsere Welt widerspiegelt.
Dort – und ich bin mal in Korinth auf dem viel kleineren Marktplatz gewesen, und das war schon sehr beeindruckend, wenn nicht sogar überwältigend – aber dort in Athen: Götterstandbilder, Heiligtümer und Altäre in riesengroßer Anzahl. Für alles und alle, manchmal auch gegen alles und alle. Für Krieg und Frieden, für die Seefahrt und die Landwirtschaft und den Handel. Altäre für die Weisheit und die Schönheit – merkwürdigerweise auch damals schon voneinander getrennt, was man ja in manchen Casting-Shows ja auch heute noch sehr deutlich wiederfindet, sowohl bei den Moderatoren als auch bei den meisten Kandidatinnen und Kandidaten – , Altäre für den Wein und für die Morgenröte, und noch viel mehr Götter mitsamt ihren Heilsangeboten, Götter, die heute meist nur noch in Kreuzworträtseln vorkommen. Wohlgemerkt die Götter und Namen. Denn das mit den vielen Heilsangeboten, das gibt es immer noch, heißt nur anders und sieht nur anders aus.
Und da muss man nicht lange nach Beispielen suchen. Und gar nicht mal nur nach nach Konsumtempeln, inzwischen Sakralhallen, gegen die jede Kirche eine müde Kaschemme ist. Oder Geld natürlich. Oder Dekoration, entweder so oder in Form von Körperkult. Götter ohne Ende.
Das geht doch von „Ach, der da oben, der wird’s schon richtig machen“ bis hin zu heilenden Steinen in der Jackentasche. Das geht von „Ich finde den lieben Gott im Wald, da bin ich ihm viel näher“ – In diesem Zusammenhang: ich bin vor ein paar Wochen zu einer Beerdigung im Friedwald am Möhnesee gewesen. Ich hoffe, gleich dreimal. Das erste und das letzte Mal und dann noch nie wieder. Aber: Da muss eine Menge Geld damit zu verdienen sein. Mit der Aura, dass man was Besonderes und was Schickes hat. Zum zweiten total vernünftig: Ich werde niemandem zur Last fallen. Den Satz glaub ich keiner Mutter und keinem Vater. Bzw. die wollen da was ganz anderes drauf hören. Und zum dritten Understatement: Ich bin ja so unwichtig und falle mit dem Tod sowieso in totale Bedeutungslosigkeit, da muss sich nie wieder jemand an mich erinnern oder mich sogar besuchen. Finde ich nicht, auch wenn sich das gut mir der heutigen Verdrängung des Todes trifft. Als ob der peinlich sei. Und ich habe früher immer gesagt: Wer meint, den lieben Gott im Wald zu finden, der soll sich auch vom Oberförster begraben lassen. Na ja, im Friedwald geht der ja sogar mit. – also das geht bei uns heute vom lieben Gott im Wald über Horoskope, Schmalspur-Buddhismus mit Räucherstäbchen und Mondkalender bis hin zu „Wenn du meinst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her“.
Wie in Athen auf dem Marktplatz. Ein Heilsangebot, ein Gott oder eine Göttin für und gegen alles und alle. Und ich finde, dann kann man sich nicht so einfach aus der Mission, aus der Weitergabe des Glaubens rausschleichen. Eben weil heute die Menschen – und da reicht ein kleines Kratzen an der Fassade – weil die Menschen heute immer noch arme Würstchen sind und mehr brauchen als das, was ihnen von Politik, Wirtschaft, von Medien und auch von Gurus da Tag für Tag wie in den Trog geworfen wird.
Allerdings, das „Wie“ das macht mir dann schon Kopfzerbrechen. Das Wie der Mission. Wenn ich dann schlechtgemachte Traktate wirren Inhalts in meinem Briefkasten finde, die eine fast diabolische Freude ausstrahlen, mir mit dem bösen Ende zu drohen. Das ist doch zum Vergessen. Das ist doch fast Mission mit vorgehaltener Waffe.
Und wenn ich dann die Zeugen Jehovas an der Ecke stehen sehe mit ihrem Wachturm, und zugleich weiß, wie viel Lebensunfreundlichkeit damit verbreitet wird, dann kann man da auch nur mehr als skeptisch bleiben. Oder wenn einen samstags vormittags mitten in Paderborn in der Fußgängerzone, wenn einen da die piepsigen Stimmen eines züchtig gekleideten Mädchenchores überfallen. Die älteren Damen dabei – natürlich fast alle mit Kopftuch, über das übrigens fast niemand diskutiert – die älteren Damen dabei fast schon als Aufpasser, damit die Mädchen nicht der schnöden und sündigen Welt verfallen. Und das in Paderborn. Und alle aus einer Gemeinschaft oder Sekte, bei der man schon ahnt, dass Lebensfreude und Glück nicht mal angesprochen werden oder vorkommen, eher sogar missgönnt und verdammt werden. Wenn man das erlebt, ja dann weiß man doch: bestimmte Formen der Mission sind einfach verbrannt. Und man sollte sie am besten ganz aufgeben.
Zumindest in der neuesten Bibelausgabe heißt es ja jetzt – Folgerichtig? Fragezeichen? – heißt es nicht mehr: „Macht zu Jüngern alle Völker.“ Sondern: „Lehret alle Völker.“
Wobei man schon den Eindruck haben kann, dass diese Abkehr oder Verschiebung schon seit längerer Zeit geschehen ist. Zum Beispiel, wenn es schon nicht mal mehr die Frage ist, oder die Frage erlaubt scheint, ob es nicht dran wäre – und wenn nicht jetzt, wann dann – ob es nicht dran wäre, Muslime zu missionieren. Schwierige Frage, ich weiß. Aber haben wir denn gar nichts anzubieten, was den Menschen dient und mehr als nur gut tut? Oder Frauen und Kinder und besonders Mädchen aus Gefangenschaften befreien kann?
Anscheinend für manche nicht mehr. Wenn z.B. ein christlicher Geistlicher (auch im Zusammenhang mit Trauerarbeit die ja inzwischen auch mehr als nur eine kleine Statue auf dem Marktplatz hat) bei einer Beerdigung nichts aber gar nichts christliches mehr von sich gibt. Und wo bleibt da wirkliche Hoffnung?
Ich werde und ich kann jetzt hier die Mission nicht retten. Aber auf die Spur will ich ihr wieder kommen. Weil ich nach wie vor glaube, dass Menschen den Glauben und die Zuversicht Jesu brauchen. Nötig wie die Luft zum Atmen. Will ihr auf die Spur kommen mit eher leisen Tönen. Und einem Satz oder Gedanken von Martin Walser. Den sein Schwiegersohn, der Schauspieler Edgar Selge, im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit dem Islam zitiert hat: „Wenn es Gott schon nicht gibt, möchte ich wenigstens sagen dürfen, dass er mir fehlt.“
„Wenn es Gott schon nicht gibt, möchte ich wenigstens sagen dürfen, dass er mir fehlt.“
Da ist er für mich wieder. Der Altar für den unbekannten Gott. Auf der einen Seite der letzte Rest von Unsicherheit nämlich, der trotz allem bestehende Zweifel: Ob diese ganzen Heilsangebote, diese ganzen Götterversammlungen wohl reichen? Ob es da nicht noch andres und mehr und Größeres gibt, als wir denken und glauben und bekennen? Mehr auch als wir glauben, sicher in der Hand zu haben? Und auf der anderen Seite – weil ich ihn brauchen – meine Hoffnung, ob und dass es ihn doch geben möge.
Gibt es, sagt Paulus. Gibt es wirklich. Ihr ahnt es doch schon lange, dass euch da was fehlt. Und dann erzählt er vom Gott der Bibel, einem Gott, den die Menschen nicht haben, der aber die Menschen und die Welt in seiner Hand hält.
Erzählt vom Schöpfer, der größer ist als unser kleines Leben, und der den Menschen all das gibt, was sie sich nicht selbst machen können. Großzügig und freigiebig. Selbst, wenn sie es nicht verdient haben. Weil dieser Gott nicht auf sich selbst sieht, sich selbst genug ist, sondern gönnen kann. Für die Menschen ist.
Und erzählt, auch ohne Jesu Namen zu nennen, von dem, der die Schritte der Menschen bis in Ewigkeit geleitet. Und sagt schließlich: „Fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir.“
Und das mit dem Weben, das finde ich ein ganz schönes Bild. Für das Leben. Für mein Leben und unser Leben.
Mit einem Lebensfaden, dem Geschenk des Lebens, mit dem alles beginnt. Und von dem ausgehend dann mein Leben gewebt wird, wie ein Stück Stoff, wie ein Teppich. Und wo ich mich darauf verlassen kann, dass da einer ist, der mitgeht. Der es gut mit mir meint, und dessen Nähe sich wie ein roter Faden durch alles zieht. Bis dahin, dass er weiter webt, wenn ich den Faden dann mal loslasse. Und ich so gehalten bleibe. Und dieser Zuversicht, diese Lebenssicherheit, die möchte ich schon gern weitergeben. Damit man uns Christinnen und Christen nicht eines Tages der unterlassenen Hilfeleistung bezichtigt.
Schade, dass in Athen nur so wenige darauf gekommen sind. Und wir, wir haben da immer noch und immer wieder eine Chance.
„Er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir“
Amen