28. und 29. Oktober 2017 – Bad Westernkotten, Erwitte und Anröchte

Markus 2, 23-28

Das Ährenraufen am Sabbat

Und es begab sich, dass er am Sabbat durch ein Kornfeld ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen.

(24)Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist?

(25)Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er in Not war und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren:

(26)wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit Abjatars, des Hohenpriesters, und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren?

(27)Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.

(28)So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.

Liebe Gemeinde,

die Gebote sind um der Menschen willen da, nicht der Mensch für die Gebote. Folglich: der Sabbat ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den Sabbat. Deshalb, wenn die Jünger Hunger haben, dann dürfen sie auch am Sabbat Ähren abstreifen oder ernten, um den Hunger zu stillen, selbst wenn das Arbeit ist und damit am Sabbat verboten. Denn, noch einmal, die Gesetze, egal welche, sind für die Menschen da und nicht umgekehrt. Sollen das Leben fördern und nicht einschränken oder beeinträchtigen. Basta. So Jesus.

Es wäre allerdings nicht recht, das alles zum Anlass zu nehmen, auf Juden oder auf das Judentum mit dem Finger zu zeigen und zu sagen: „Seht sie euch an. Da sitzen sie immer noch, die Holzköpfe und ewig Gestrigen.“

Natürlich gibt es auch die immer noch, die den öffentlichen Personennahverkehr am Sabbat verbieten wollen. Oder den Rabbiner in Jerusalem, der das „In der Nase bohren“ am Sabbat verbietet. Denn dabei könnten kleine Härchen mit ausgerissen werden, das sei aber Haareschneiden, und das ist eben Arbeit und am Sabbat verboten. Ja, so was gibt es tatsächlich noch. Auch wenn ich mir 1000 andere Gründe denken könnte, das Bohren in der Nase zu verbieten, vor allem bei Männern in Autos vor Ampeln.

Es gibt aber eben auch die anderen, die kleinen Lösungen innerhalb des Judentums. Angefangen damit, dass das Einschalten des Fernsehers am Sabbat als unzulässige Arbeit angesehen wird. Aber Fernsehen möchte man auch am Sabbat. Gerade dann, wenn man Zeit hat. Die Sünde der Sabbatschändung – nach dem mosaischen Gesetz ein todeswürdiges Vergehen – lässt sich aber ganz einfach vermeiden: Der Fernseher schaltet sich am Sabbat, entsprechend vorprogrammiert, von selbst an.

Das gleiche mit dem Essen. Hungern will man nicht am Sabbat. Essen kochen aber ist Arbeit. Verboten. Nicht verboten ist das Vorkochen und das Warmhalten oder Weitergaren, z. B. unter einem Stapel von Kissen. Perfektioniert bei vielen. Und lecker. Und fragen sie mal so manche deutsche Hausfrau, falls es die noch gibt, was sie vom Kochen am Sonntag hält.

Oder, Frage unter Juden: Darf man am Sabbat Zahnschmerzen behandeln? Nein. Arbeit nur, wenn das Leben bedroht ist. Darf man am Sabbat mit Essigwasser oder mit Nelkenöl gurgeln? Klar, man soll ja gut essen und trinken. Genau wie man ein gebrochenes Bein am Sabbat eincremen und massieren darf, denn man soll sich ja pflegen.

Allerdings, bei Geld, da gibt es die kleine Lösung nicht. Geld hat mit Arbeit zu tun, wird am Sabbat nicht angefasst. Und ist darum in der Synagoge beim Gottesdienst streng verboten. So weit sind wir ja hier noch nicht. Aber angesichts unserer Kollektenergebnisse ließe sich das sicher und locker verschmerzen. Aber sie merken: mit Jesus und mit Augenzwinkern geht so manches viel besser und leichter.

Ja, und wenn wir all das geklärt haben, dann doch vielleicht doch noch mal ein anderer oder ganz anderer Blick aufs 3. Gebot. „Du sollst den Feiertag heiligen.“

Klar. Gott sei Dank. Weil das für den Menschen da ist. In Zeiten, wo man das Gefühl hat, der Sabbat ist für verkaufsoffene Geschäfte und Outlet-Center gemacht. Man muss die Menschen beschäftigen und ihnen Gelegenheit geben, Geld auszugeben, dann sind sie zufrieden. Und daraus resultierend die durchaus ernst zu nehmende Frage, ob wir Menschen mit der Freiheit auch eines solchen Tages überhaupt noch etwas anfangen können.

Also: Ihr sollt den Feiertag heiligen.

Ich erinnere mich noch gut an einen Gottesdienst vor ein paar Jahren in den USA. Da hatte der Kollege eine Predigtreihe über die 10 Gebote, und da sagte er zum 3. Gebot – das Sabbat- oder Feiertagsgebot – in etwa:

„Liebe Gemeinde, mit den 3. Gebot da geht ihr ziemlich lax und locker um und sagt: „Ach, es ist Sonntag. Schön. Mal sehen, vielleicht gehen wir in die Kirche, vielleicht auch nicht. Gibt’s es da lieber Sport. Gönnen wir uns Ruhe und Erholung für Leib und Seele, oder machen wir richtig Arbeit und Aktion? Schlafen wir den ganzen Tag, oder renovieren wir die Bude?> So handelt ihr auch. So was von unverbindlich. Aber niemand von euch käme auf den Gedanken, mit den anderen Geboten genauso umzugehen. Es würde doch keine sagen: „Mal sehen, ermorde ich heute meinen nervigen Nachbarn, oder lass ich es lieber? Außerdem ist das Messer nicht geschärft“, „Klaue ich heute ein Auto, oder lass ich es sein?“, „Schmeiße ich meine Eltern aus ihrem Haus, oder dürfen sie noch bis nächste Woche bleiben? Und meine Frau und ich haben ganz schön lange nicht mehr über Scheidung geredet.“ So kann man nicht umgehen, mit dem 3. Gebot und mit den anderen auch nicht. Ganz oder gar nicht ist gefordert, denn alles ist Gottes Wille. Und Religion light, das gibt es nicht und das geht nicht. Wenn, dann bitte verbindlich und nicht nur die Rosinen herauspicken.“ Soweit der Kollege.

Wenn die Gebote, dann bitte verbindlich, alle, und nicht nur die Rosinen herauspicken.

Es sei denn, man begreift das 3. Gebot als Rosine. Das an sich ein Muss ist, wenn man es mal von dieser sturen Gesetzlichkeit löst.

Ein Muss, weil die Leichtigkeit des Seins und die Annahme des Daseins, sich einfach zu freuen und Annehmen zu können, dass es einen gibt, weil das doch nicht erst seit gestern auf der Strecke geblieben ist.

Denn wenn alles immer nur von Technik und Produktion abhängt, immer mehr werden muss, wenn auch wir Menschen dabei immer mehr nur nach unserem Nutzen eingestuft werden, wenn wir uns dann folglich am Ende des Lebens nur noch übrig fühlen oder als Last, wo bleibt da die Leichtigkeit des Seins, und wie will man da auf der manchmal ziemlich steilen Treppe des Lebens zurecht kommen?

Wenn alles nur noch von dem großen und immerwährenden <du musst und du sollst und wehe, du schaffst das nicht, dann kannst du deinen Lebensberechtigungsschein sofort in die Tonne schmeißen, wenn alles nur davon bestimmt wird, wenn einem das schon von Kind an in den Kopf und vor Seele genagelt wird, dann ist es doch kein Wunder, dass man über sich und das Leben und seinen Sinn schon gar nicht mehr nachdenkt, Freiheit und freie Zeit fast schon als Bedrohung empfindet. Bloß nicht drüber nachdenken, wer weiß, welches Fass man da aufmacht, auf wie viel Grusel man da stößt.

Und wenn der Schein und das Image wichtiger werden als das Sein, das Haben mehr als das, was man wirklich ist und was einen als Menschen liebenswert macht uns ausmacht,

dann wird es aber höchste Zeit, sich diese Rosine namens 3. Gebot herauszupicken und für sich in Anspruch zu nehmen. Weil es vielleicht das einzige Angebot ist, das uns nicht einengen, sondern befreien, aufatmen und leben lassen kann und will. 6 Tage Fessel und oft genug Knechtschaft sind genug, wenigstens ein Tag muss da anders sein. Da muss es nicht um das gehen, was sie alle aus mir machen und von mir haben wollen, sondern um mich. Und das was mich ausmacht. Und auch um das, was mein Leben trägt. Die Befreiung zu mir selbst und für mich selbst und mit anderen und mit Gott. Wenigsten ein Tag muss anders sein. Ganz anders.

Und das sind übrigens nicht unbegrenzte Einkaufsmöglichkeiten am Sonntag, das sind auch nicht 1001 Fernsehprogramme, selbst wenn sich da Gehirn und Verstand, Mundwerk und Phantasie ausruhen können. Denn die werden da ja – außer vielleicht bei Quizsendungen – nun wirklich nicht gefordert. Und das ist auch nicht die Haltung „Macht, was ihr wollt. Oder: Heute darfst du spielen, was du willst, aber lass mich in Ruhe.“

Sich nicht benutzen oder permanent bespaßen lassen, nicht immer nur reagieren: Sondern sich dem allem verweigern. Agieren, Freiheit sinnvoll nutzen zulassen, auskosten.

Wenigstens ein Tag ganz anders. Und ich mache an dieser Stelle jetzt keine Werbung für den sonntäglichen Gottesdienst, obwohl ich das für das Beste in dieser Richtung halte.

Aber wie wäre es mit Goethe: „Ich ging im Walde so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn“ Das klingt so einfach, dieses „Nichts“, diese Zweckfreiheit, die Leichtigkeit des Seins, ist es aber nicht. Doch es lohnt sich, danach zu streben, denn dieses „Nichts“ im Sinne Jesu kann ganz viel sein und macht nicht nur den Leib satt.

Amen