Sonntag 27. April 2014 – Anröchte

Quasimodogeniti 2014

Liebe Gemeinde,

Die Auferstehung ist wirklich eine Zumutung – nicht nur für den modernen Kopf, sie war es schon immer. Kein Wunder, dass auch Thomas sich dagegen sperrt, es nicht glauben kann oder will. Die Auferstehung ist wirklich eine Zumutung. Auch schon in der Antike. Von Anfang an steht sie unter Schwindelverdacht. Die römischen und jüdischen Zeitgenossen vermuteten damals schon, die Jünger hätten ihren toten Anführer geklaut und irgendwo versteckt und dann wie geniale Marketingspezialisten ihre frei erfundene »Botschaft von der Überwindung des Todes« in einer gigantischen Werbekampagne unter die Leute gebracht. Aber das allein erklärt es noch nicht.

Da muss noch mehr passiert sein.

Irgendetwas muss passiert sein, damals, im Garten des Josef von Arimathia. Irgendetwas, dessen Kraft, dessen Begeisterung oder auch – im guten Sinn – dessen Magie ein paar verstörte Fischer zu Gründern einer Weltreligion werden ließ, mit einer Botschaft, die das Christentum bis heute vorwärtsträgt.

Was auch immer es war – die Jünger sind nach dem, was sie da am offenen und leeren Grab oder da auf dem Weg nach Emmaus erlebt haben, nicht mehr dieselben. Nicht mehr wiederzuerkennen. Wo sind auf einmal die Feiglinge, die in die Dunkelheit flüchteten, als ihr Meister von Soldaten abgeholt wurde? Die Wackelkandidaten, die ihn verleugneten, bis der Hahn krähte? Die Zweifler, die sich verbarrikadierten, während er am Kreuz erstickte? Die beiden, die nur noch alles vergessen wollten, nur noch zurück nach Hause wollten?

Mit einem Mal sind sie Apostel. Botschafter der Überzeugung. Bereit, sich für ihre Botschaft zu opfern. Ihnen ist etwas Ungeheuerliches widerfahren, und jetzt tragen sie dieses Erlebnis übers Land – eindringlich und offenbar glaubwürdig durch das Ausmaß ihrer persönlichen Erschütterung.

Viele schenkten ihnen Glauben. Vor allem an der Wucht, mit der seine Jünger von ihm erzählt haben, dürfte es liegen, dass keine Figur der Antike eine vergleichbare, bis heute anhaltende Wirkung entfaltet hat wie Jesus. Kein Kaiser, kein Philosoph. Und diese einfachen Leute, sie ließen sich nicht beirren. Egal, was kam, sie blieben dabei. Die Apostel Petrus und Paulus, so heißt es, wurden in Rom hingerichtet. Hingerichtet für ihre Überzeugungskraft, mit der darauf beharrten: Er ist wahrhaftig auferstanden. Obwohl das für die meisten damals eine verrückte Legende war. Sie wurden Märtyrer, das heißt auf Griechisch: Zeugen. Die Urchristen haben sich massenhaft verfolgen, foltern und einsperren lassen, bei römischen Zirkusspielen von wilden Tieren anfallen oder als Fackeln in Brand stecken lassen – und das alles für diesen Glauben, diese Botschaft. Für die Geschichte von einem vergeblich hingerichteten Verlierer, die die meisten darüber hinaus ja auch bloß vom Hörensagen kannten.

Und das ist mehr als man machen und erklären und beweisen kann. Mehr auch, als man so einfach abtun kann. Manche sagen, das sind magische Momente, manche sagen es sei übernatürlich, manche sagen, das sei göttlich. Nur so zu erklären. Und ich will mich gern darauf einlassen. Denn das ist etwas ganz anderes, unbeschreiblich anderes, als ich es hier jeden Tag erlebe, als wir es hier und jetzt jeden Tag erfahren.

Denn das Prinzip des Lebens auch bei uns heute ist doch zunächst das Prinzip Angst. Vor den vielen kleinen Verlusten. Und vor dem einen großen, dem Tod. Fürchtet Euch sehr – lautet heute die Botschaft in den Zeitungen, im Fernsehen, in der Werbung, wo Sie wollen. „Fürchte dich!“ Und dagegen ein kleines bisschen Sicherheit herzustellen ist unser täglich Brot. Ganz besonders in unseren Zeiten. Und diese Angst hat Folgen. Der Mensch ist mit seiner ängstlichen Absicherung derart beschäftigt, dass er nicht bemerkt, wie er damit den Mörtel rührt zur Zementierung der bestehenden Verhältnisse. Und wie er den Beton gießt für sein eigenes Grab.

Fürchte dich. Aber das taugt doch alles nichts. Denn ich, der ich mich verzweifelt am Bestehenden – an meinem Besitz, meinem Status, meinem sozialen Gefüge – festklammere, ich hindere mich dadurch am Leben, ich bin doch wie tot. Denn durch die schiere Angst vor der Verarmung, der Erkrankung, dem Verlassenwerden und dem Untergang, durch das starre Festhalten an eigenen Bedürfnissen und alten Ordnungen – es muss sicher sein, und alles bleiben, wie es ist, und dann ist das Leben in Ordnung – da hat sich der Tod in mein Leben geschlichen. Eine Art geistiger Tod, ein Tod am Brot und an der Sicherheit allein, der mitten in der Geschäftigkeit von mir Besitz ergreift und der mich verfaulen lässt, während ich noch atme.

Aber, um aus dieser Falle, aus diesem Gefängnis herauszukommen, eine angstfreie Existenz zu versuchen und zu erleben, da hilft mir all das, womit die gesetzmäßigen Abläufe berechnet werden, helfen mir die so genannten Parameter, denen die Materie gehorcht, nicht weiter – kein Zitronensäurezyklus, keine Newtonschen Gesetze, keine Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Um wirklich leben zu können, dazu brauche ich Symbole, Bilder und Geschichten. In denen es nicht um richtige oder falsche Gleichungen geht, sondern um Gleichnisse, die mich beflügeln. Brauche Bilder, die mich aus meiner Berechenbarkeit, aus meinem Festgelegt-Sein reißen und mir helfen, größer zu werden, als ich bin. Bilder, in denen ich nicht wiederzuerkennen bin. Allenfalls das, was alles noch aus mir werden könnte. Brauche ich Geschichten, die mir Mut machen, über meinen Tellerrand zu schauen und über meinen Schatten zu springen, auch aus dem engen Horizont hinaus.

Und das ist für mich die Auferstehung und darum glaube ich dran. Weil sie sagt: Ja, das gibt es und das geht. Weil sie mir wirkliches Leben, jenseits der Angst, ermöglicht. Weil sie sagt: Fürchte dich nicht, vor nichts und niemandem. Denn es ist mit den Tatsachen dieser Welt noch nicht abgetan. Gott kann und macht so viel mehr, und mit dem ist immer noch so viel möglich. Darum glaub nicht, dass das hier schon alles gewesen ist. Siehe, ich mache alles neu. Jenseits von Tod und Leid, Geschrei und Schmerz, und auch jenseits deines banalen Versuchs, zu überleben. Dir steht viel mehr zu, das ganze Leben, jetzt und eine ganze Ewigkeit dazu.

Und wenn ich sage, ich glaube an die Auferstehung, meine ich nicht die historische Bejahung, das physikalische Für-real-Halten eines nicht beweisbaren Vorgangs. Diese Frage stellen die Kleinkrämer und Korinthenkacker. Diese Frage stellt sich mir ebenso wenig wie die nach dem Jüngsten Tag. Und was meine eigene Auferweckung angeht – da lasse ich mich überraschen. Der liebe Gott wird sich schon das Passende für mich ausgedacht haben. Aber jetzt schon und hier will ich mir den Himmel schon ein bisschen offen halten. Das Mehr des Lebens spüren und erleben und wagen. Und in dem hellen Strahl, der durch den Spalt der Auferstehungsgeschichten herausfällt, ändert sich für mich die Welt. Und ich merke, dass das hier und jetzt noch längst nicht alles gewesen sein muss. Und davon erzählen mir die Auferstehungsgeschichten, davon erzählen mir die Leute, die Frauen und Männer damals, von Maria Magdalena bis hin zu den Emmaus-Jüngern. Fürchte Dich nicht. Trau Dich.

Und ich merke, er ist auferstanden, auf dass wir aufstehen können zum Leben. Amen