Röm 8, 18-23
Denn ich bin überzeugt, daß dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.
(19)Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, daß die Kinder Gottes offenbar werden.
(20)Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung;
(21)denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.
(22)Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.
(23)Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes.
Liebe Gemeinde,
die meisten von Ihnen und Euch, so sie sich für Fußball interessieren, die werden diese alte Spottgeschichte noch kennen, die jetzt gerade wieder aufgewärmt wird, wo die Niederlande sich nicht für die EM qualifiziert haben:
„Also, warum haben die holländischen Kinder alle so lange Ohren?“ „Weil ihre Eltern sie immer an den Ohren hochziehen, sie so über die Grenze nach Deutschland schauen lassen und sagen: Schau mal, das wohnt der Fußballweltmeister.“
Ja, ich gebe es zu, eine platte Geschichte, nicht unbedingt was für die traurigen Sonntage im November. Aber vielleicht steckt darin ja nicht nur Spott. Vielleicht ja auch der Gedanke: „Seht mal. Es muss nicht immer alles schiefgehen. Es gibt noch andere Dinge als Niederlagen, man kann auch gewinnen. Also, man muss sich nicht mit dem zufrieden geben, was ist.“
Und ich hoffe, nach diesem letzten Gedanken sehen sie mir den Einstieg mit gerade dieser platten Geschichte nach.
Aber natürlich, es geht hier heute Morgen nicht um Fußball. Und es geht schon lange nicht darum, über Verlierer zu spotten. Aber es geht um Verlierer. Es geht um die Verlierer des Lebens und im Spiel des Lebens. Und wenn der Apostel da vom ängstlichen Harren der Kreatur schreibt, von Seufzen und von Angst, von der Hoffnung auf Erlösung, dann wissen einige, und das sind viel zu viele und einige von denen sind vielleicht sogar hier heute Morgen, dann wissen die sofort, worum es da geht und was damit gemeint ist. Jetzt ist hier nicht der Ort, Einzelschicksale zu schildern, aber es gibt zu viele, die wissen, wie das ist, morgens schon wach zu werden mit Schmerzen und der Furcht, das könnte schlimmer werden. Oder aufzustehen mit dem Gedanken an all das, was dieser Tag mal wieder für sie auftürmt und was eigentlich nicht zu schaffen ist. Und zumindest in manchen Berufszweigen, da wird das ja immer mehr. Nicht nur bei Lehrern, aber da auch. Den Tag beginnen zu müssen mit Angst – und die hat viele hässliche Gesichter. Und trotzdem seinen Tag und die Wochen bestehen zu müssen, manchmal, ohne es zu können, manchmal auch, ohne einen Sinn darin zu sehen. Und abends mit dem Gefühl den Tag beschließen, dass es doch nichts gebracht hat, man versagt hat, dass doch nichts anders oder besser wird. Und Morgen dasselbe. Im Spiel des Lebens zu verlieren, die Niederlage ständig vor Augen haben.
Und übrigens, bei wem das nicht so ist, und wem es gut geht, der sei dankbar, denn das ist nicht selbstverständlich. Und der danke dem lieben Gott jeden Morgen auf Knien dafür. Auch mit der Bitte, dass Morgen nicht alles ganz anders sein wird. Denn wie schnell kann sich das wenden, und oft genug hat man selbst nicht mal Einfluss darauf.
Und wenn wir schon bei Ängsten sind, man kommt ja in diesen Tagen nicht daran vorbei. An den Bildern der Flüchtlinge, am manchmal unwürdigen Gezänk der Politiker, aber auch an der Frage oder der Angst, wie das weitergehen wird und soll, und was das wird, und wie das alles enden soll oder wird.
Und dafür, und für all die anderen im Keller des Lebens oder auf der Verliererseite, dafür schreibt der Apostel seine Zeilen. Und will sie damit eben hochheben. Über den Zaun oder Tellerrand schauen lassen, und darum die Eingangsgeschichte. Will sie und uns hochheben, damit wir nicht aufgeben. Will sie hochheben, ihnen damit auch ein Stückchen aufhelfen, und sie über ihre Grenzen hinaus eine ganz andere Weite schauen lassen: „Das ist noch nicht alles. Es gibt noch andere Dinge als Niederlagen, man kann auch gewinnen. Man muss sich nicht mit dem zufrieden geben, was ist. Da ist noch nicht das letzte Wort gesprochen.“
„Denn ich bin überzeugt, daß dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.“ „Denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. So ist Gott.“
Und das Ziel unserer Hoffnung ist Gottes neue Welt. Und sie kommt. Eine Welt, in der es kein Leid und keine Tränen mehr geben wird, weil nach den Worten Jesajas Gott selbst die Tränen abwischen wird von unserem Angesicht. Eine Welt, in der Menschen nicht mehr von Gott abgewandt leben, sondern nach seinem Willen fragen und darum alle Natur und Kreatur sein und werden kann, wie von ihm gemeint. Eine Welt, in der ein Mensch den anderen nicht mehr als Fremden, als Feind oder Konkurrenten, sondern als Bruder und Schwester ansehen wird. Eine Welt, in der wir so etwas erleben werden wie eine letzte Gerechtigkeit, und in der schließlich der Tod nicht mehr sein wird, weil seine Macht endgültig gebrochen ist. Christus hat das versprochen. Und wir werden es erleben. Und das wird so großartig sein, wie wir es uns in diesem Leben nicht vorstellen können.
Jetzt können Sie sagen: Utopie. Oder: Zukunftsmusik. Oder, wenn man es böse meint: „Opium des Volkes.“ Denn wie soll man das glauben, wenn man noch nichts davon sieht oder spürt?
Kommt darauf an, wie man das sieht und was man daraus macht.
Vielleicht erinnern Sie sich an den schon ziemlich alten Schlager von Hans Hartz von den müden Tauben (Die weißen Tauben sind müde). Der war ja pure Resignation: „Komm her, Marie, ein letztes Glas, genießen wir den letzten Augenblick.“ Ein letztes Glas Wein, eine letzte Zweisamkeit, ein letzter Genuss, denn es geht zu Ende, die Welt liegt im Sterben. Und das war es dann.
Erinnert mich ein bisschen an die Leute, die im Augenblick nur lamentieren und jammern und so tun, als müsse sich der Himmel auftun und das alles verschlucken. Oder Frau Merkel müsste mit einem Zauberstab erscheinen, und der Spuk hätte ein Ende.
Man kann das so sehen – und aufgeben. Christinnen und Christen aber sehen das anders, und können es anders sehen. Wenn sie wissen: es ist mit den Tatsachen dieses Lebens noch nicht abgetan. Da kommt noch was. Oder mit Martin Luther: Selbst wenn morgen die Welt unterginge, dann würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.
Wobei mein Lieblingssatz oder Lieblingsgedanke von Ernst Bloch stammt, ausgerechnet einem nicht gerade sehr christlichen Philosophen: „Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Also werden wir.“ (E. Bloch, Tübinger Einleitung in die Philosophie)
Also werden wir. Denn warum soll die Niederlage, warum soll das Scheitern unabänderlich sein?
Nur 2 Beispiele, winzig, nicht sehr bedeutend, wenn Sie so wollen, das Große kleingekocht, hoffentlich nicht verniedlicht.
Aber ich gebe mir immer sehr viel Mühe mit Menschen zu reden, die über ihre maroden Knochen klagen. Sicher zu Recht. Und sage ihnen trotzdem, und das aus eigener Erfahrung: Dranbleiben, Üben, Kämpfen. Ich will wenigstens wissen, ob ich das nicht doch schaffen kann.
Und, auf anderem Gebiet, ich gebe jetzt Sprachkurse für Asylbewerber, so gut oder schlecht ich das kann. Aber man kann doch nicht alles laufen lassen, man muss doch was tun, wenigstens was tun. Nicht alles hinnehmen, sondern es wenigstens versuchen. Auf diese Weise auch sozialen Kontakt und – wenn sie so wollen – soziale Kontrolle zu haben. Und ich weiß, viele von Euch sehen und machen das ähnlich.
Darum der Ausblick des Apostels: So soll es sein, und so wird es sein: „Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.“
Und wenn Ihr Euch nur mal so anheben lassen würdet und nur das heute mitnehmen würdet: „Das hier ist noch nicht alles. Es gibt noch andere Dinge als Niederlagen, man kann auch gewinnen. Man muss sich nicht mit dem zufrieden geben, was ist. Da ist noch nicht das letzte Wort gesprochen.“ Das wäre schon ein erster Schritt aus der Niederlage heraus.
So sei es, oder, in der Sprache der Bibel: Amen„