Tageslosung
Ach, HERR, wenn unsre Sünden uns verklagen, so hilf doch um deines Namens willen!
Jeremia 14,7
Christus hat unsre Sünden selbst hinaufgetragen an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben.
1. Petrus 2,24
„Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!“
(Aus dem „Osterspaziergang“ von J. W. v. Goethe)
Das kann ich im Augenblick von mir nicht so richtig sagen, denn je länger die Beschränkungen bestehen bleiben, desto deutlicher merke ich sie. Und ich ertappe mich schon dabei, nach kleinen Listen oder Ausreden zu suchen, sie umgehen zu können.
Außerdem, und das stimmt mich auch nicht fröhlicher, lassen ja manche eine Art von Menschsein raushängen, die mir manchmal schon den Glauben an das Gute im Menschen und seinen rechten Gebrauch der Freiheit nimmt.
Insbesondere der Meinungsfreiheit. Ich weiß, das Thema hatten wir schon, aber es hat sich nicht erledigt. Für die Leserbriefseite der Zeitung kann ich dem ja noch etwas Gutes abgewinnen. Es hilft der Presse, Spalten und Seiten zu füllen und vor allem auch und hoffentlich zu überleben.
Bei allem, was uns da durchs Internet um die Ohren und ins Smartphone fliegt, bin ich da nicht so optimistisch oder positiv eingestellt. Was das arme Netz so alles tragen und ertragen und transportieren muss. Aber das Netz kann ja nichts dafür.
Und wenn ich mitbekomme, wie die Mächtigen z. B. in China oder der Türkei oder auch in Russland aus Angst vor der Macht aber auch der Wut der Unterdrückten das Netz ab und an einstellen oder einschränken, dann soll das Netz bleiben. Muss es. Nur manche Inhalte eben …
Sie merken, die Tageslosung und den Karsamstag und die Isolation und das, was das aus und mit Menschen macht, so richtig gebündelt bekomme ich das heute nicht. Wie also finde ich da einen Einstieg in dieses Osterwochenende, der mich etwas beschäftigt und meine kleinen grauen Zellen vor dem Eingelullt-Werden bewahrt, meinen Gedanken etwas Weite und der Kultur und damit auch der Tiefe etwas Raum gibt?
Meine Frau hat mal wieder wie so oft einen guten Gedanken gehabt: Den „Osterspiergang“ von Goethe auswendig lernen. Damit sie nicht allzu lange suchen müssen, oder falls sie ihren „Faust“ nach der Schulzeit leider Gottes dem Altpapier übergeben haben sollten:
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden:
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!
Meine Frau hat es übrigens schon gemacht, sie har es auswendig gelernt. Bei mir dauert es noch. Und sie können sich ja im Kreis der Familie morgen gegenseitig abfragen. Nach Ostereiern suchen können alle, aber nach den richtigen Worten?