Bad Westernkotten (24.10.2015) und Ense (25.10.2015)

Matthäus 5, 38 – 48

Vom Vergelten 38Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2.Mose 21,24): »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« 39Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. 40Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. 41Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei. 42Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will. Von der Feindesliebe 43Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« (3.Mose 19,18) und deinen Feind hassen. 44Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, 45damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. 46Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? 47Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? 48Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

„Was sind das für Zeiten, wo Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ Von Berthold Brecht. Aus seinem Gedicht an die Nachgeborenen. Geschrieben in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, da ging es um Nazi-Deutschland. „Was sind das für Zeiten, wo Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“

Bestimmte Dinge also nicht einfach ausblenden.

Und darum ist es vielleicht doch ganz gut, wenn zur Zeit, egal, wo man ist, was man liest, hört oder sieht, egal mit wem man spricht, und auch Kirche und Gottesdienst und Predigt können da nicht außen vorbleiben, wenn dann zur Zeit ein Thema mit Sicherheit kommt: Die Flüchtlinge. Und natürlich wissen wir, dass man die Leute da draußen nicht einfach in Regen und Schlamm oder in mühselig zusammengezimmerten Aufnahmelagern verkommen oder dahinvegetieren lassen darf. Und selbst, wenn die anderen Länder da ein bisschen und ein bisschen viel mehr tun könnten, als durchzuwinken oder sich abzuschotten, das heißt ja nicht, dass der barherzige Samariter bei uns jetzt erstmal in die Mottenkiste gepackt wird.

Wobei wir hoffentlich auch wissen, dass dies Elend der Welt Ursachen hat. IS und skrupellose Diktatoren zum Beispiel. Ursachen aber auch, die unter anderem ganz viel mit Geld oder Kapital zu tun haben. Und der Gier, dass es immer mehr werden muss, egal, wie teuer andere dafür bezahlen müssen. Und wenn ich dann höre oder lese, nur ein Bespiel, dass die Anteilseigner, für deren Gewinne VW ja nun auch betrogen hat, dass die jetzt auch noch das Recht haben oder haben sollen, VW wegen sinkender Gewinne zu verklagen, weil da nicht rechtzeitig gewarnt worden ist, dann verstehe ich das nicht mehr, dann ist das nicht meine Welt, und mir wird da manchmal Angst und Bange.

Aber man fragt sich natürlich gerade dann: Was machst du dann mit den Worten Jesu?

Den, der mich schlägt, den soll ich gleich noch weiterschlagen lassen? Alle auf mich und uns, wir können das ja ab? Dem, der mir was abnehmen will, oder dem, der mich ausbeuten will, dem gebe ich den Rest auch gleich noch dazu. Wir können es ja, oder wir schaffen das schon. Und bei dem, der mich an seine Seite zwingt, gleich noch mal das Doppelte drauflegen. Dazu dann noch absolute Freigiebigkeit und grenzenlose Feindesliebe. Das hört nicht jeder gern, das ist auch schwer im Jahre 2015 in Deutschland.

Aber jetzt genug der Zwischen- und Untertöne, auch keine Aufzählung aller Ängste, denn Angst ist ein schlechter Ratgeber. Nur die Frage – auch an den, der uns zur Freiheit befreit hat und es u. a. begründet hat mit „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ – die Frage: Wie soll das gehen? Antwort: Anders. Höchstwahrscheinlich sogar ganz anders, als wir denken. Dann, wenn wir immer nur mit Scheuklappen herumlaufen, auch im Blick auf solche Texte und Worte.

„Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.“ Wenn mich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann, davon geht das aus, macht er oder sie das mit der linken Hand. Die linke Hand aber war damals und in vielen Kulturen bis heute nicht das schöne Händchen. Sie wurde und wird nur für unreine Arbeiten benutzt. Es gab Gruppen, da wurde selbst das Winken mit links – vielleicht kommt unser „mit links“ ja von daher – das wurde das Winken mit links sogar bestraft. Ein Schlag mit der linken Hand war also die absolute Demütigung und Erniedrigung.

Demnach, wer die andere, die linke Wange auch noch hinhielt, der erwartete oder forderte einen Schlag mit rechts. Mit der rechten Hand aber bekämpften sich damals nur Gleichgestellte. Die scheinbare nochmalige Unterwerfung also – „schlag mich, aber schlag mich mit rechts“ – ist zugleich die Forderung nach Gleichstellung und Aufwertung, nach Würde und Wert: Ich bin genauso ein Kind Gottes wie du. Wenn man will auch gewaltfreier Widerstand. „Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel.“

Nach den Bestimmungen damals, im Alten Testament nachzulesen, konnte man bestimmte Dinge verpfänden, bis hin zur Arbeitskraft. Aber es war verboten, das Obergewand über Nacht zu verpfänden. Oder entsprechend als Pfand zu akzeptieren. Der Rock, um den es hier zunächst geht, der ist das Untergewand. Gibt man das Obergewand dazu, dann sind beide bloßgestellt. Der eine ganz wörtlich, der andere in seiner Gier. Und sein Ruf wäre auch ruiniert, weil er es gewagt hätte, jemandem das letzte Hemd auszuziehen. Ob das dem einen das Untergewand erhalten hat oder hätte, weiß ich nicht. Aber es ist eine mehr als starke Art und Weise, sich zur Wehr zu setzten. „Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei.“

Das gab es damals auch. Jeder römische Soldat hatte das Recht, einen Juden zu zwingen, ihm sein Gepäck eine Meile weit zu schleppen. Aber nur eine. Jeder weitere Schritt war ein Verstoß, wurde betraft. Und bei dem Angebot, das Gepäck weiter zu tragen, vertauschen sich da auf einmal die Rollen. Der vorher Starke gerät in die Defensive, wird verunsichert, der vorher Schwache ist plötzlich der Handelnde.

Und alle drei Beispiele erzählen dem, der so etwas weiß, und die Menschen damals wussten das, alle drei Beispiele erzählen, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss. Ohne – von der Feindesliebe her – ohne den anderen dabei zu verletzten. Ihm sogar die Gelegenheit geben, angemessen zu reagieren. Und ohne für einen selbst die eigenen Überzeugungen aufgeben zu müssen.

Ich gebe zu, ich habe das vorher auch alles so nicht gewusst. Und wenn man es hört, klingt das vielleicht auch etwas konstruiert. Und, ich weiß auch immer noch nicht, ob ich mich so einfach schlagen lassen würde. Aber so auf Ängste und Anfeindung und auch auf Angriffe reagieren zu können, das finde ich einfach gut und pfiffig.

Was ich allerdings auch weiß, und ich denke, da bin ich hier in guter Gesellschaft, das Richtige fällt mir meist immer erst dann ein, wenn die Situation schon vorbei ist.

Im Augenblick ist sie noch nicht vorbei. Wir sind mitten drin. Und haben darum oder trotzdem die Möglichkeit, nachzudenken, was zu tun und was zu lassen ist. Über unsere Überzeugungen. Über das, was uns wichtig ist, vielleicht unaufgebbar. Und wie wir reagieren, wenn es beispielsweise um die Stellung der Frau geht angesichts der Veränderungen bei uns. Oder um Glaube und Religion und ein anderes Miteinander, das vielleicht gelernt werden muss, Herausforderungen, die da auf uns zukommen. Bekenntnis, Mission oder Abschotten und Ignorieren? Offenheit oder Abtauchen? Nur 2 Dinge, von den sozialen Kassen und dem schnöden Mammon erst gar nicht anzufangen. Und dabei nicht vergessen, dass Krisen oft genug der Beginn für Neuerungen sind. Und die müssen nicht das Schlechteste sein. Wir sollten unsere Chance nutzen und nicht immer nur stöhnen oder jammern. Wenn uns der liebe Gott, so er es denn war, so das eine oder andere vor die Haustür unseres schönen Landes stellt. Und darum doch noch mal die Worte und Gedanken von der Feindesliebe. Hier nicht mit Blick auf die Flüchtlinge. Sie sind es nicht, sind nicht die Feinde, und niemand gibt irgendjemandem und nicht mal der Pegida das Recht, sie dazu zu erklären.

Sondern mit Blick auf einen ganz anderen Gedanken da: „Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Also auch über uns für uns.

Und da kann man natürlich lang und ausgiebig überlegen: Wer sind jetzt die Ungerechten? Die Kapitalvermehrer, die IS, Diktatoren, Schlepper, Politiker? Nur eine kleine Auswahl, und man wird da immer jemanden finden und das sicher mit guten Gründen.

Aber wer sind wir? Immer nur die Guten? Ich wäre mir da nicht so sicher. Da könnten auch Wahrnehmungsstörungen vorliegen, wenn man das von sich glaubt. Die Reformatoren waren da alles andere als blauäugig. Die haben gesagt: Der Mensch ist immer Sünder und Gerechter zugleich. Mal mehr und mal weniger. Aber beides. Im damals geschätzten Latein, und wer möchte kann damit beim Mittagessen glänzen: „Simul iustus et peccator“. Wir sind Sünder und Gerechte zugleich. Da ist was dran. Aber egal, wer jetzt wer ist und zu welchen Anteilen. Der Zuspruch gilt, und das hat für mich etwas sehr Tröstliches und auch Beruhigendes: „Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“

Auch für und über uns. Das ist eine Perspektive. Mit der kann man leben und den Kaninchenblick ablegen. Sanft wie Tauben, klug wie Schlangen. Und das sagt auch: wir bleiben gehalten. Von dem, der größer ist als unser kleines Leben.

Amen