29. und 30. Juli 2017 – Bad Westernkotten, Erwitte, Anröchte

2. Mose 16, 2+3+11-18

Die ganze Gemeinde der Israeliten murrte wider Mose und Aaron in der Wüste. Und sie sprachen: „Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.“ Und der HERR sprach zu Mose: „Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt erkennen, dass ich, der HERR, euer Gott bin.“ Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. Und als der Tau weg war, siehe, da lag’s in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: „Man hu?“ Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: „Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat. Das ist’s aber, was der HERR geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte.“ Und die Israeliten taten’s und sammelten, einer viel, der andere wenig. Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.

Liebe Gemeinde,

„Die ganze Gemeinde der Israeliten murrte wider Mose und Aaron in der Wüste. Und sie sprachen: „Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.“ Sie alle kennen die Geschichte. Es ist mal gerade etwa einen Monat her, dass das Volk Israel aus Ägypten ausgewandert ist. Oder auch geflohen. Jedenfalls, dem ägyptischen König, dem Pharao, wurde vorher ordentlich eingeheizt, solange, bis er seine israelitischen Sklaven laufen ließ. Das Schilfmeer teilte sich und Israel konnte trockenen Fußes hindurch wandern. Die ägyptische Militärmacht hatte danach noch versucht, sie aufzuhalten, aber sie ersoff kläglich in den Fluten. Israel hat das größte Wunder seiner Geschichte gerade erst erlebt. Die Leute müssten eigentlich voller Zuversicht sein, aufgeladen mit positiver Energie, sie müssten vor unerschütterlichem Gottvertrauen nur so strotzen. Wer Gott auf so eine Weise begegnet, wer solche Wunder erlebt, der kann doch gar nicht anders, als in jeder weiteren brenzligen Situation alles von Gott zu erwarten. Ihm zu vertrauen, mit Lebensmut im Überfluss. Aber von wegen. Oder: Denkste. Der Mensch vergisst schnell, sehr schnell, vor allem das Gute. Und: bei den Israeliten macht sich gähnende Leere im Magen breit und keine gemütliche Gastronomie ist in der Nähe. Der Hunger grassiert, gepaart mit der Angst, in der Wüste sterben zu müssen. Kann man sogar verstehen. Aber das Ergebnis?: Der knurrende Magen übertönt die eben noch gesungenen Loblieder zur Ehre Gottes. Desselben Gottes, der jetzt angenölt wird. Das große Vergessen setzt ein. Magen leer, Hirn leer, Seele leer. Aus gerade erst Geretteten werden in der Wüste wandelnde Wutbürger. Murren. Aufstand. Rebellion. Israel rebelliert gegen seine – übrigens von Gott gegebenen – Anführer. Und der Volkszorn entlädt sich mit Wucht. So ist das. Alles vergessen, was Gott konnte, was er kann, was vorher war. Im Gegenteil: Der Hunger frisst der Hunger das Gottvertrauen gänzlich auf.

Und – Ägypten erscheint in dieser Situation plötzlich wieder als das große gelobte Land. Die Sklaverei, das tägliche Sich-Schinden und Abmühen und Antreiben und Arbeiten bis zum Umfallen, all das wird einfach ausgeblendet. Was übrigbleibt sind die Fleischtöpfe Ägyptens. Nach dem Motto: Es war doch alles gar nicht so schlecht früher. Zitat von heute: „Der Krämer war ein bescheidener Mann, man bezahlte fast nichts und bekam noch was raus.“ Und wenn sie wollen können Sie gern Parallelen ziehen von Sitte und Recht, damals wenigstens noch befolgt, über Brötchen für 10 Pfennig bis hin zu Autobahnen, die ja auch gebaut worden sind. Oder den Zeiten, als man noch nicht auf das Versprechen von blühenden Landschaften reingefallen war. Früher war es doch gar nicht so schlecht.

Wutbürger. Murren, Aufstand, Rebellion.

„Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen.“ – so verklärt sich im Handumdrehen, was einmal ganz schrecklich war.

Denn die Fleischtöpfe, die hier vor dem inneren Auge auf dem Feuer köcheln, – vermutlich haben sie sie mehr vom fernen Schnuppern gekannt als vom eigenen Sattwerden. Und auch das Brot von damals war Sklavenbrot; durchtränkt von Schweiß und Tränen. Aber immerhin! Als Sklaven mussten sie sich nicht selbst um ihr Auskommen kümmern. Das taten die Herren, denen sie dienten und denen sie gehörten.

Nun sind sie aber keine Sklaven mehr, sondern Freie. Und sie müssen entdecken und schmerzlich spüren: die Freiheit hat ihren Preis! Und der Weg ins „gelobte Land“ ist ein Weg durch die Wüste. Das wird oft vergessen. Damals wie heute. Von denen, die alles ganz selbstverständlich wollen, nur nicht mehr sich engagieren oder dar wählen. Bis zu vielen von denen, die bei uns Schutz oder auch ein besseres Leben suchen und plötzlich erfahren, dass auch das nicht an der nächsten Ecke nur auf sie gewartet hat.

Freiheit ist ein großes Gut. Aber sie wird niemandem in den Schoß gelegt. Freiheit muss erarbeitet, erkämpft und nicht selten auch erlitten werden. Nicht nur dann, wenn Demokratie von Chaoten mit Füßen getreten und mit Pflastersteinen zertrümmert werden soll. Und man trotzdem an Freiheit und Meinungsfreiheit festhalten will.

Oder die Länder des sogenannten „arabischen Frühlings: Tunesien, Algerien, Ägypten, Libyen, … Was für ein Aufbruch war das gewesen! Was für eine Hoffnung! – Doch von dem, was da an Euphorie war, ist nicht viel geblieben; im Gegenteil: es herrscht die Wüste bzw. das Wüste: Anarchie und Blutvergießen, Hunger, Elend und große Unsicherheit im Blick auf die Zukunft. Nein, der Weg in die Freiheit ist ein langer Weg und ein harter Weg. Kein Spaziergang mit Erfolgsgarantie.

Aber noch während ich so denke und natürlich und gern mit dem Finger auf andere zeige, und von meinem bequemen Sofa aus den Blick in die Welt schweifen lasse, ist es mir aber plötzlich, als wäre das gar nicht so weit weg, als wird mir da auch ein Spiegel vorgehalten. Wie steht’s mit Deiner geistlichen Vergesslichkeit? Wie ist es um Dein Gottvertrauen bestellt, wenn die Gesamtsituation Deines Lebens nicht gerade zufriedenstellend ist? Wenn alles den Bach runter geht. Hunger und Durst der Seele inklusive.

Wenn ich ehrlich bin, dann vergesse auch ich viel zu oft viel zu schnell, was Gott in meinem Leben schon getan hat. Die großen und kleinen Wunder verschwinden in den Untiefen meines Hirns. Das Wunder, dass ich Gott mein Vertrauen schenken konnte, das vergesse ich allzu schnell. Was ich mit Gott erlebt habe, wie Gott mein Vertrauen zu ihm so oft nicht enttäuscht hat, das stärkt mir eben nicht dauerhaft und unumstößlich meinen Glauben. Und, ich sage es ja nicht gerne, aber ich mache es oft genauso wie die Israeliten:

Sie fingen an zu murren. Sie suchten einen Schuldigen, so wie immer ein Schuldiger gesucht wird. Der Chef, die Regierung, die Umstände, die Lehrer, der Partner… Und wer einen Schuldigen sucht, findet auch einen. Damals waren es Mose und Aaron. Voller Zorn klagen sie an: „Ihr sei schuld! Ihr habt uns an diesen gottverlassene Ort gebracht, damit wir hier elendig verrecken“.

Doch – und hier sind wir im Zentrum unserer Geschichte – die Wüste ist nicht gottverlassen. Keine Wüste ist gottverlassen – Ganz im Gegenteil. Gott ist dort näher, als wir denken, als wir uns überhaupt vorstellen können.

„Ich habe das Murren der Israeliten gehört“, sagt er zum bedrängten Mose. Gott greift ein. Nicht spektakulär mit Feuer oder Rauch – nein, ganz einfach: Gott hört zu! Und er hört auch das, was hinter dem Murren ist: die Sorge; die Not; die Angst vor der Zukunft. Ich habe gehört…

Es ist kein großes Buffet.

Das was da ist, bringt Gott auf den Tisch. Eine müde Schar Wachteln, die sich beim Lager der Israeliten niederlässt. Und dann, über Nacht, diese kleinen, unscheinbaren Körner (Früchte der Tamariske – Honigtau – Rückstände von Läusen – Man hu/was ist das=Manna), die es aber in sich haben. Nahrung für die Hungrigen, Kraft für die Müden, Hoffnung für die Sorgenvollen – genau das, was die Menschen brauchen.

Er wendet auf wunderbare Weise die Aussichtslosigkeit, unsere Angst, unsere Hoffnungslosigkeit. Er sorgt dafür, dass wir satt werden. Er schlägt den wutbürgerlichen Aufstand nicht gewaltsam nieder, sondern schenkt stattdessen ein Zeichen seiner Güte und Treue.

Allerdings: Nehmt nur, so viel ihr braucht. Nur, wenn das so einfach wäre. Die meisten von Ihnen und Euch wissen, wie das da weiterging. Da kommt – natürlich, will man fast sagen, natürlich und leider menschlich – da kommt die Gier ins Spiel. Unbesiegbar, unausrottbar. Aber in jeder Gier steckt der Wurm. Da sammeln einige, als müsste es bis zum jüngsten Tag reichen. Mit dem Ergebnis: Alles verdorben am anderen Morgen. Stinkend. Nicht mehr zu essen. So wenig, wie man auch Geld essen kann.

Also bleiben wir lieber beim Ende des heutigen Textes: „ … jeder sammle, soviel er zum Essen braucht…“ Und alle hatten nachher genug, egal, wie viel sie brauchten. Punktgenau, sagt man heute.: Ich stelle mir das so vor, dass die Israeliten damals nach dem Sammeln ihre Töpfe zusammengehalten haben und dass die, die wenig hatten, die Alten und Kinder, ihre Töpfe von den anderen gefüllt bekamen. Wäre doch mal eine Perspektive, für unsere Welt und auch für das geistliche Leben in einer Gemeinde. Jeder nimmt so viel er braucht, jeder gibt, soviel er kann. Jeder traut dann jedermann. Gott vertraut uns, fangen wir an.

Die göttliche Weisung lautet: „Nimm, so viel du brauchst. Du sollst nicht hungern; du sollst aber auch nicht horten oder verschwenden. Ein jeder sammle so viel, wie er zum Essen braucht, jeden Tag neu.“

Diese Begrenzung ist gleichzeitig eine Zumutung. Damals wie heute. Langfristig zu planen und uns abzusichern liegt uns näher.

Doch Manna, das Geschenk des Himmels bzw. die Nähe Gottes, das lässt sich nicht konservieren. Wir können immer wieder nur die Hand hinhalten. Jeden Tag neu sind wir auf seine Liebe, auf sein Wort, auf Kraft, auf Gesundheit und Freude angewiesen. Glauben lässt sich nicht konservieren. Jeden Tag neu heißt es, auf Gott zu vertrauen.

Amen