Heiligabend 2015 – Bad Westernkotten

Liebe Gemeinde,

Es ist ja schon gut, wenn die Gedanken manchmal etwas tiefer gehen als nur bis zu der Frage, ob man nun ohne Thermomix wirklich weiterleben kann oder nicht. Ja natürlich, ich hätte auch die Fifa nehmen können oder Dieselfahrzeuge oder Fitness oder auch deutsche Wurst, alles ja so Themen, an denen man nicht vorbeigekommen ist, auch wenn man sie ja vielleicht gar nicht vermisst hätte. Aber Thermomix deshalb, weil das so was Verschwörerisches und manchmal auch Missionarisches hatte. Also wichtig war. Oder, um einen Kabarettisten zu zitieren: Im Internet Millionen Clicks, Freiheit, Gleichheit, Thermomix. Vielleicht ist der ja aber heute auch unter dem einen oder anderen Baum die Überraschung, also Vorsicht.

Aber ob jetzt der oder nicht, Sie werden mir zustimmen: Gut, und das ist ja auch eine der segensreichen Gaben der Weihnachtszeit, gut, wenn die Gedanken manchmal auch etwas tiefer gehen. Und, wenn Sie WDR2 hören, dieser Sender hat das in diesem Jahr ja aufgenommen. Wie ein roter Faden zog sich diese Frage an die Hörerinnen und Hörer durch den ganzen Advent: „Was ist wichtig? Was ist Ihnen wirklich wichtig?“ Manche Antworten wurden dann gesendet, man konnte oder kann sie aber auch auf einer Internetseite nachlesen.

Und da finden sich: Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, Gesundheit, Familie, Toleranz, Ehrlichkeit, intakte Natur … die ganze zu erwartende Palette. Nichts dagegen zu sagen. Und natürlich auch Geld. Also:

Geld ist nicht alles, aber Alles ist nichts ohne Geld.
Immer so viel Geld zum Leben, dass man es mit anderen teilen kann.
Und, Zitat: Ein Satz meiner Tante (90 Jahre) der doch viel beinhaltet:“ Mit Geld weint sichs leichter!“
Dazu passt vielleicht auch noch: „Wie schnell ist nichts getan.“

Anderen war dann eher wichtig, was sie selbst und ihre Vorlieben betraf: Glück, Bodenhaftung, liebevolle Berührungen, in der Fußball-Tipprunde vor Sven Pistor stehen, von Menschen begleitet werden, warmes Wasser in der Dusche, angenommen sein, lieben und geliebt zu werden, Respekt, gegen den Strom schwimmen, jederzeit Tränen lachen können, dankbar zu sein. Und der Glaube kam vereinzelt auch vor.

Und ein paar Dinge seien der Vollständigkeit halber noch extra erwähnt:

Mir ist es wichtig, typisch deutsch zu sein. Typisch deutsch bedeutet, gastfreundlich zu sein, hilfsbereit, weltoffen, zupackend wo es nötig ist.
Oder: Immer genug Wolle auf der Stricknadel.
Oder: Einer meiner Leitsprüche: Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen.
Dann noch: Wichtig ist alles, wonach in zehn Milliarden Jahren noch ein Hahn kräht.
Und schließlich: Wichtig ist mir Disziplin, Ordnung und Pünktlichkeit. Das ist reine Erziehungssache und geht immer mehr verloren. Dann muss sich auch niemand mehr Gedanken über unsere Gesellschaft und deren Zustand machen.

Wobei ich da anfange, mit Gedanken über unsere Gesellschaft zu machen.

Die Anliegen der Leute. Ihr Wünsche. Was ihnen wichtig ist. Die meisten durchaus ernst zu nehmen.

Interessant fand ich aber auch, was nicht vorkam oder ich auch nicht gefunden habe. Politik und Politiker zum Beispiel. Oder, man könnte ja gerade vor Weihnachten angesichts der Weihnachtsgeschichte und der anschließenden Flucht nach Ägypten schon darauf kommen, Flüchtlinge und alles, was damit zusammenhängt, das kam auch nicht vor. Was mich sehr stark an Diskussionen erinnert hat, wo viele Leute so tun, als wollten sie sagen: „Ich will das alles nicht. Mach das weg, aber schnell.“ Nur, wenn dann einer sagen würde „Wir schaffen das schon“, das würde mich dann wirklich beunruhigen.

Und habe dann überlegt, was mir da wichtig ist, gerade auch zu Weihnachten. Und für mich ist das Hoffnung. Auch in Anlehnung an den griechischen Mythos der Büchse der Pandora. Die, als sie geöffnet wird, eine ganze Menge von Übeln, von Krankheiten, von Tod und anderen Hässlichkeiten ausspuckt und über die Menschen verteilt. Wer will, mag da gern Parallelen zu unserer Welt ziehen, so wie sie heute aussieht. Und die Büchse, die wieder verschlossen wird, bevor das Letzte, bevor die Hoffnung entweichen kann. Und was wäre, was ist eine Welt ohne Hoffnung?

„Unbezwingbar“

„Meine Schläge“, gab das Schicksal in einem Interview zu, „sind oft sehr hart und meine Rechte ist ebenso gefürchtet wie die vom Muhammed Ali. Treue, Glaube, Liebe – kurz, auch die schwersten Brocken habe ich auf die Bretter geschickt und sie wurden sämtlich ausgezählt wie ein am Boden liegender Boxer.“

„Nur mit einem Gegner habe ich bisher nicht fertig werden können:
Sooft ich ihn auch k.o. schlage und davon überzeugt bin, dass er nun endgültig ausgezählt auf dem Boden liegen bleibt – spätestens bis „neun“ ist er wieder auf den Beinen.“

„Und wer“, fragte der Interviewer, „ist dieser unbezwingbare Gegner?“
„Die Hoffnung“, antwortete das Schicksal.

Und was wäre, was ist eine Welt ohne Hoffnung? Und darum ist sie mir wichtig. Mehr als das. Und ich finde sie genau da eben wieder. In der Weihnachtsgeschichte.

Aber anders, als ich lange gedacht habe und Sie vielleicht auch. Nämlich nicht, dass das unsere Hoffnung ist, sondern dass es zuallererst Gottes Hoffnung ist, von der da erzählt wird. Wenn er kommt, mitten in diese eigentlich wunderschöne und doch oft so komplizierte, auch gequälte und zerstörte Welt hinein, uns zur Seite, die wir oft mehr taumeln als gehen, uns Sorgen machen – und das zu Recht – über uns und über den Fortgang der Welt und ihrer und unserer Geschichte, dass er, Gott, da trotz allem und gegen alles seine Hoffnung in diese Welt setzt und dass seine Hoffnung uns und diese Welt noch nicht aufgegeben hat.

Und wenn Gott, wenn der Allmächtige seine Hoffnung auf uns und diese Welt setzt, was wäre dann, was ist dann noch alles drin, auch in uns? Was wird dann noch alles möglich sein mit diesem Herrn, der so viel größer ist als unser kleines Leben. Und mit diesem Kind, das ja für den Neuanfang steht: „Siehe, ich mache alles neu.“ Und dann muss und wird es nicht so bleiben wie es ist. Und wir müssen uns nicht mit dem abfinden oder auch abspeisen lassen von dem, was uns so vorgesetzt wird. Oder auch begegnet.

Aber bevor ich Ihnen jetzt von Flüchtlingen, von Kriegen, von Ungerechtigkeit und Hunger erzähle, was ja auch alles da eingeschlossen ist, es muss ja trotzdem dann mit unserer eigenen Hoffnung anfangen. Oder weitergehen.

„O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit. Welt ging verloren, Christ ist geboren. Freue dich, o Christenheit!“ Werden wir gleich singen. Gehört bei uns zu jedem Weihnachtsgottesdienst dazu. Zu Recht. Und mehr noch, wenn es um Hoffnung geht. Um unsere eigene, kleine oder große. Um das, was Weihnachten, was Gottes Hoffnung in uns wecken oder erreichen kann.

Johannes Daniel Falk hat die Strophe gedichtet, nachdem er vier seiner sieben Kinder durch eine Typhusseuche verloren hatte. Weil er ahnte und hoffte, Verlust und Trauer und all die anderen Hässlichkeiten sind die Zeichen einer verlorenen Welt, die Gott nicht sich selbst überlassen will. Christ ist geboren, Gottes Freundlichkeit und Liebe sind erschienen, damit Verlust und Sorgen, damit Tod und Trauer nicht das letzte Wort behalten.

„Welt ging verloren, Christ ist geboren“, so hat es Anfang des 19. Jahrhunderts Johannes Daniel Falk wohl erhofft und sein Lied den Kindern gewidmet, für die er in Weimar ein „Rettungshaus für verwahrloste Kinder“ gegründet hatte.

Und egal ob unser Leben mit unserem kleinen Herzen oder die große Welt, solche Hoffnung, genährt von Gottes Menschenfreundlichkeit, Hoffnung, die nicht die Überzeugung ist, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht, das wäre mein Wunsch zu Weihnachten.

Amen