19. Februar 2017 – Erwitte und Anröchte

Hebräer 4, 12-13

(12)Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.

(13)Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.

Liebe Gemeinde,

von der Macht des Wortes. Ein Zitat:

„Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique regieren zu lassen.“

Ja, und wenn Sie das so hören, vielleicht geht es Ihnen ja genauso wie mir. „Verantwortungslose Herrscherclique“, „dunkle Triebe“, da fallen mir auf Anhieb eine Menge Leute ein, die damit gemeint sein könnten. Rund um die Welt. Vom Westen – ich kann und will es schon bald nicht mehr hören – bis zum Osten, den nahen und mittleren eingeschlossen. Und bis hin zu den Populisten in Europa, von denen einige schon an der Macht sind, und wo die anderen keine Falschmeldung, keine Angstmache und keine Ungeheuerlichkeit auslassen, um auch an die Macht zu kommen. Auch in Deutschland.

Es würde passen: „Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique regieren zu lassen.“ Nur, das ist weder ein Satz aus der Bibel, noch ist irgendeiner von den gerade Angesprochenen damit gemeint.

Dieser Satz, dies Zitat, stammt aus dem ersten Flugblatt der Geschwister Scholl von 1942. Und ist mehr als nur Beleg dafür, wie viel Worte vermögen. Wie mächtig Sätze sein können. Wie viel Kraft sie haben können. So dass die Machthaber sich plötzlich von diesen paar Worten angegriffen und durchschaut fühlen. Sich auch davor fürchten. Gefürchtet haben damals. Und wegen dieser Sätze, nur wegen der Worte, diese beiden, Hans und Sophie Scholl, aus dem Weg geschafft haben, sie hinrichten ließen.

Die Macht des Wortes. Und eben auch die Macht des Wortes Gottes. „Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.“

Die ersten Beispiele dazu finden sich schon im Alten Testament. Denken Sie an die Worte des Propheten Nathan zu König David (2. Samuel 12 – ganz bekannt, aber ich erzähle es immer wieder gern). Da hat sich David Bethseba zur Frau genommen, und deren Mann, schließlich war sie verheiratet, Uria kurzerhand aus dem Weg räumen lassen. Und als er sein – mit dem Tod Urias erkauftes – Glück genießen will, da kommt plötzlich dieser Nathan. Und er erzählt ihm ganz harmlos von einem armen Mann, der nichts besaß außer einem Schaf, an dem er sehr hing. Und von dem reichen Mann mit Schafen ohne Ende. Doch als der Reiche Besuch bekam, da nahm er sich das Schaf des Armen, um den Gast damit zu bewirten. Und David, als er diese Geschichte hörte, sprang auf und sagte: „Der Mann ist des Todes.“ Und bekam zur Antwort: „Du selbst bist der Mann.“ Die Macht des Wortes. So bekommt man selbst die Mächtigsten der Mächtigen auf den Boden der Tatsachen und auf Normalmaß zurück, nachzulesen in Davids Bußgebet Psalm 51. „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist.“

Und ein Mann namens Abimelech, der ganz am Anfang der Geschichte Israels König werden sollte, der bekam schon zu Beginn seiner Herrschaft von einem Mann namens Jotam den dezenten Hinweis, was von Königen und Herrschern zu halten sei, und von denen, die meinen, allmächtig zu sein und so etwas wie Gott oder zumindest sein Stellvertreter. Und da sagt dieser Jotam, und auch das fängt ganz harmlos an (Richter 9):

Die Bäume gingen hin, um einen König über sich zu salben, und sprachen zum Ölbaum: Sei unser König!
(9)Aber der Ölbaum antwortete ihnen: Soll ich meine Fettigkeit lassen, die Götter und Menschen an mir preisen, und hingehen, über den Bäumen zu schweben?
(10)Da sprachen die Bäume zum Feigenbaum: Komm du und sei unser König!
(11)Aber der Feigenbaum sprach zu ihnen: Soll ich meine Süßigkeit und meine gute Frucht lassen und hingehen, über den Bäumen zu schweben?
(12)Da sprachen die Bäume zum Weinstock: Komm du und sei unser König!
(13)Aber der Weinstock sprach zu ihnen: Soll ich meinen Wein lassen, der Götter und Menschen fröhlich macht, und hingehen, über den Bäumen zu schweben?
(14)Da sprachen alle Bäume zum Dornbusch: Komm du und sei unser König!
(15)Und der Dornbusch sprach zu den Bäumen: Ist’s wahr, dass ihr mich zum König über euch salben wollt, so kommt und bergt euch in meinem Schatten.

Der Dornbusch als König. Da twittert es doch bei mir. Da taucht vor meinem inneren Auge doch sofort eine gelbe Fönfrisur auf, aus der eine zu lange rote Krawatte heraushängt.

Oder wenn ich tatsächlich mal in die Lage geraten sollte, oder in die Notlage, je nachdem, die Bibel und Frau Petry samt Anhang zusammenbringen zu müssen, ja besser kann man es doch nicht sagen. Oder in einem Gottesdienst zu Beginn der Wahlkämpfe in NRW oder Deutschland.

Die Macht des Wortes Gottes. Auch und nicht zuletzt Grund für das Jubiläum, das wir dieses Jahr feiern. Selbst wenn der am meisten zitierte Satz nicht aus der Bibel ist: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“. Aber in Verbindung mit der Zusage aus Psalm 46 „Ein feste Burg ist unser Gott“ hat das, haben diese Worte die damalige Welt nicht nur umgekrempelt, das war der Grundstein zum Aufbruch in die Neuzeit.

Und wenn es um die Macht des Wortes geht, dann gehört ja auch eigentlich Barrack Obama in diese Aufzählung: „Yes, we can!“ Drei Worte nur, die aber zumindest die USA in mehr als nur Aufbruchstimmung versetzt haben. Über acht Jahre ist das jetzt her.

Und vor mehr als 25 Jahren war das: „Wir sind das Volk“. Was haben diese 4 Worte, verbunden mit Gottesdiensten, Kerzen, und Friedensgebeten, nicht alles bewirkt. Fast die halbe Welt war nachher umgekrempelt.

Nur genau da, da gerate ich, da gerät man ins Stocken. Ins Fragen: „Kann man das heute noch so einfach und fast naiv anführen?“ Als Beweis für die positive Macht des Wortes. Oder stellen diese beiden Sätze heute nicht zugleich alles in Frage.

Denn wenn ich „Yes, we can!“ höre, dann dröhnt mir ins andere Ohr dieses „Make America great again! America first!“ von Donald Trump. Und mit wieviel Lügen ist da gearbeitet worden. Und er hat gewonnen, obwohl das anscheinend so viele wussten.

Und „Wir sind das Volk!“, das wird heute auch von der Pegida gebrüllt, zusammen mit „Lügenpresse“ und auch Hetzparolen. Denen auch geglaubt wird.

Die Macht des Wortes. Ja, aber ist das wirklich immer noch und immer so eindeutig wie damals in der Bibel oder zu Luthers Zeiten? Wem kann man und welchem Wort Gottes dann noch trauen? Im postfaktischen Zeitalter – das Wort des Jahres, Sie wissen das. Wo es angeblich „andere Wahrheiten“ gibt, so bei der Zahl der Besucher zu Trumps Einführung. Oder nur noch „Gefühlte Wahrheiten“. Was so viel heißt wie: Jeder hält nur noch das für wahr, was er gern hören möchte, was ihm in sein Weltbild passt und was ihn bestätigt. Und das andere muss dann wohl unwahr sein.

Die Macht des Wortes. Immer noch, aber was ist Wahrheit? Hat schon Pilatus gefragt, als es um Jesu Urteil ging.

Drei Versuche dem auf die Spur zu kommen. Was wahr ist und gilt und zählt.

Zum einen: Fragen. Fragen, woher etwas kommt. Mehr noch, wem etwas nutzt oder schaden soll und wem nicht. Und sich selbst fragen, ob man das nicht auch viel zu gern hören möchte.

Und dazu das zweite. 1946 ist es gewesen. Die Inhaftierten des Gefängnisses Spandau, allesamt Nazigrößen der zweiten Garnitur, waren zum Gottesdienst verpflichtet und – als sie den besuchten – da waren sie höchst empört über das, was der französische Militärgeistliche ihnen zu sagen hatte mit der Geschichte von der Heilung der zehn Aussätzigen. Man kann sich denken, wen er da mit was und wem verglich. Sie beschwerten sich hochoffiziell: Wenn sie schon in dieser Lage seien, gefangen, verurteilt, geächtet, dann sollte diese eine Stunde am Sonntagmorgen ihnen Trost vermitteln, Geborgenheit geben, einfach guttun. So ihr Protest. Doch als sie sich richtig in Wut geredet und den Pfarrer sprachlos gemacht hatten, da meldete sich der Architekt Albert Speer zu Wort, auch er einer der Schuldiggesprochenen: „Lassen Sie sich nicht irremachen, Herr Pfarrer!“, sagte er. „Ich erwarte von Ihnen, dass Sie mich beunruhigen!“ Mit anderen Worten: Ich will nicht eingelullt werden, nicht bestätigt werden in meiner Gedankenwelt, in der ich mir lauter Rechtfertigungen für meine Schuld suche. Hauptsache, ich komme gut dabei weg. Nein, ich will in Unruhe bleiben, in Unruhe versetzt werden – aufgerüttelt, gestört in meinen eingefahrenen Denkmustern. Ich brauche das zum Leben – und wenn es mir in diesem Leben nicht mehr helfen kann, weil ich meine Chancen vertan habe, dann doch wenigstens im nächsten, wenn ich vor Gottes Thron bestehen muss. So verstehe ich diesen Satz: „Ich erwarte von Ihnen, dass Sie mich beunruhigen.“

Und das dritte. Gustav Heinemann hat gesagt: „Die Herren der Welt kommen und gehen. Unser Herr aber kommt.“ Was in unserem Zusammenhang dann heißt: „Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen.“ (Markus 13,31). Oder: Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; aber das Wort unsres Gottes bleibt ewiglich. (Jesaja 40,8>

Amen