1. September – Erwitte und Anröchte

Galater 2, 16-21

Doch weil wir wissen, daß der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht.
(17)Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, auch selbst als Sünder befunden werden – ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne!
(18)Denn wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter.
(19)Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt.
(20)Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben.
(21)Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.

Liebe Gemeinde,

welcher „Rote-Ampel-Typ“ sind Sie? Also, stellen Sie sich vor, Sie kommen als Fußgänger oder Fußgängerin an eine rote Ampel, kein Auto da, kein Auto zu sehen. Wie verhalten Sie sich?
a. Sie warten – natürlich, selbstverständlich – auf Grün.
b. Sie schauen vielleicht noch mal nach rechts und links, kein Auto in Sicht, also los, es wird schon nichts passieren.
c. Sie warten, aber nur, wenn Kinder dabei oder in der Nähe sind.

Bitte das Ganze jetzt nur als Beispiel, könnte sonst auch gefährlich werden. Für Leib und Leben, oder auch für das Portemonnaie. Rot ist nicht nur die Farbe der Liebe, kann auch der Auslöser für Bußgeld und Punkte sein. Auf der anderen Seite, gerade diese Erwitter Kreuzung hier, da hat man ja so manches Mal das Gefühl, dass die Rente schneller kommt als das Grün.

Und übrigens, wenn man hinterm Steuer sitzt, dann sieht das Ganze schon wieder ganz anders aus. Da ist man in der Regel viel vorsichtiger und gesetzeskonformer. Meist. Wobei es allerdings ein Trugschluss wäre zu behaupten, dass das Auto die Leute zu besseren Menschen macht.

Aber und also, bleiben wir mal bei den Fußgängern. Denn, es geht im Predigttext, es geht in diesen Sätzen des Apostels um Rechtfertigung und die sogenannte Rechtfertigungslehre. Hohe Theologie also. Wobei es in diesem Fall um einen Streit geht, der die ersten Gemeinden damalsin diverse Ampeltypen zu spalten oder zu zerreißen drohte. Und da gab es eben verschiedene „Rote-Ampel-Typen“, und das Bild vom Fußgänger kann beim Verständnis helfen.

Ausgangspunkt oder Kernpunkt des Streits waren die jüdischen Gesetze, also die Gebote und die Verbote des Alten Testaments. Z. B. das Einhalten bestimmter Speisevorschriften. Kein Schweinefleisch. Niemals Fleisch und Milch zusammen auf den Tisch. Damit auch kein Cordon Bleu, Schinken und Käse geht dann ja nun wirklich nicht. Oder  Sabbath-Gebote. Nichts tun, absolut nichts. Kein Fahren oder Reisen, kein Essen-Kochen, nicht mal was tun dürfen gegen Zahnschmerzen. Von der Rolle der Frau oder vom Ablehnen jeglichen Kontakts zu Andersgläubigen gar nicht erst anzufangen. Und noch eine Menge mehr Gebote und Verbote. Und da die ersten Christen z. T. auch eine jüdische Vergangenheit hatten, gab es dann bei den Christinnen und Christen im Großen und Ganzen 3 „Ampel-Typen“.
a. Die bedingungslosen Befolger oder Gehorcher, die sagten: Auch als Christinnen oder Christen habt ihr diesen religiösen roten Ampeln, diesen Gesetzen, ihr habt denen absolut und ohne Ausnahme zu gehorchen. Punkt. Sonst habt ihr keine Chance bei Gott. Sünder. Leben verpfuscht. Das Heil verwirkt.
b. Die – so nenne ich sie mal – Gesetzlosen oder Anarchisten, und die sagten: Wieso? Christus hat uns von den Gesetzen befreit. Christus hat uns bedingungslos angenommen. Auch als Sünder, auch als die, die immer wieder gegen die Gebote verstoßen haben und verstoßen. Also, Gesetze hin, Gesetze her, vor Gott können wir sowieso aus eigener Kraft nicht bestehen. Und wenn er uns ohne eigenes Verdienst gerecht spricht, dann hat er uns von allen Zwängen befreit. Also was sollen dann noch die Ampeln oder Gesetze?
c. Die Kompromiss-Typen: Ja, Christus hat uns befreit. Aber mit dieser Freiheit sollen wir so umgehen, dass andere dabei keinen Schaden nehmen. Das ist der, der an der Ampel Rücksicht nimmt auf Kinder.

Doch bevor ich jetzt den Apostel Paulus einer dieser Gruppen zuordne, erst einmal oder noch einmal grundsätzlich zur Rechtfertigungslehre. Denn darum – seit der Reformation – geht es zentral, immer wieder, auch für uns. Und gerade in Zeiten wie diesen, wo es unendlich wichtig ist, sich daran zu erinnern und es rauszustellen. Auch rauszustellen, denn das hat damit zu tunwie gut unser Glaube ist und tun kann. Wie wichtig er für das Leben ist, soll das keine Löwengrube werden.

Als die Apostel damals in alle Welt gingen, um das Evangelium zu predigen, um die Menschen für Jesus zu begeistern und sie zu taufen, denken Sie an den Taufbefehl, da redeten sie natürlich auch von Gott. Doch viel zu oft, wenn das Wort Gott fiel, da zuckten die Menschen zusammen. Denn sie hatten Angst. Vor Gott musste man sich fürchten. Was anderes kannten sie nicht.

Sie mussten dran glauben, diese Doppeldeutigkeit, die kann man da durchaus ansetzen. Denn die Götter waren alles, die Menschen waren nichts. Die Götter waren groß und erhaben, und die Menschen ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Und die Menschen krochen im Staub, die mussten alles tun, um die Götter bei Laune zu halten, und wenn es mal gut ging, dann hatten sie halt Glück gehabt. Kismet, heißt das heute manachmal. Oder Inschallah. Wer möchte, kann da gern mal Parallelen zu heutigen großen und wie ich finde immer noch Gehorsamsreligionen ziehen. Die Götter, die waren sich selbst genug, und die Menschen, die waren für die Götter da, sonst nichts. Ihr Schicksal war egal.

Wie kann man bei Göttern, die immer nur fordern und wenig wenn überhaupt etwas geben, wie kann man da ein positives Gottesbild entwickeln? Da kann man sich nur verstecken.

Und dann hörten die Menschen von Jesus und von Gott, seinem Vater. Und wie er ihn gelebt und von ihm erzählt hat. Von einem Gott, der die Menschen gern hat, dem sie am Herzen liegen. Der für sie da sein will, sie fördern und in die Lage versetzen will, ihr eigenes Leben in Glück und Zufriedenheit zu leben. Ein Gott, der auf ihrer Seite stand, bis zum letzten Blutstropen am Kreuz solidarisch mit ihnen. Und das alles aus Güte oder Gnade. Ein Gott, der keine Leistungen forderte, sondern Liebe gab. Und Liebe stellt keine Bedingungen.

Und wenn das der Allmächtige war und dazu noch solch ein wirklich guter Hirte, dann fragten sie natürlich: Was muss ich tun, was muss ich leisten, um auch zu diesem Jesus, zu diesem Gott zu gehören, der mich hütet wie seinen Augapfel. Und die Antwort war: Tun und leisten müsst Ihr gar nichts. Braucht Euch seine Liebe nicht zu erwerben. Die ist schon da. Aber ihm vertrauen, ihm glauben, das sollt ihr. Und das ist alles. Diese Liebe und Güte einfach annehmen.

Die Befreiung von aller Selbstrechtfertigung und von aller Leistungs- und Bringeschuld Gott gegenüber. Das ist die Rechtfertigungslehre.  Ich bin nicht gut oder wertvoll oder anerkannt, weil ich so viel bin und kann und leiste, sondern, weil Gott mich groß und stark macht. Ohne mein Dazutun, auch ohne die Werke des Gesetzes.

Nach 2000 Jahren und 2000 Jahren Christentum müssten wir dann ja eigentlich von solchen Göttern und Gesetzen befreit sein. Bei den religiösen mag das sein, wer hält sich noch ans Sonntagsgebot z. B., aber das hat andere Gründe. Aber ansonsten? Götzen und Götter, Ansprüche, denen wir zu genügen haben ohne Ende. Und wenn nicht: Rote Karte, Ende mit dem Lebensberechtigungsschein.

Alt und Alter heutzutage. Will keiner sein. „Die verprassen doch nur ihre Rente.“ Außer als Erbonkel überflüssig bis unbrauchbar.

Krank, oder auch noch alt und krank. Das stört, damit will man wenig bis nichts zu tun haben. Bringen nichts und kosten auch noch.

Unsportlich oder unansehnlich. Da kann man sich doch nur verstecken.

Arm, oder nur ein 400€-Job, schon fast wie aussätzig.

Neben der Mode und Rumlaufen. Also z. B. sich nicht in eine Steppjacke zwängen lassen, weil man nicht aussehen möchte wie das Michelin-Männchen. Da sagen doch die anderen: Die laufen ja rum wie Schluffen Paul oder Schlörs Minna. Da geht die Welt aber auf Abstand.

Die Kinder nur auf der Haupt- oder Gesamtschule. Da denken die ersten daran, den Eltern den Erziehungsberechtigungsschein abzunehmen.

Genug der Beispiele. Nein, wir sind nicht von der Macht dieser Götter und Gesetze befreit, die bei Nichtbefolgen oder Nichtgenügen den Daumen senken.  

Und da sagt Paulus: Halt. So geht das nicht. Dieser Druck, das macht Euch kaputt. Und Gott, Christus macht euch und euer Leben heile. Tun und leisten müsst Ihr gar nichts. Braucht Euch seine Liebe nicht zu erwerben. Die ist schon da. Und noch einmal: Ich bin nicht gut oder wertvoll oder anerkannt, weil ich so viel bin und kann und leiste, sondern, weil Gott mich groß und stark macht. Und dazu noch sagt: „Denn ich bin mit dir, und niemand soll sich unterstehen, dir zu schaden.“Ohne mein Dazutun, auch ohne die Werke des Gesetzes. Der Götter und Gesetze, wie immer sie heute sind oder heißen.

Aber, und damit bin ich wieder am Anfang, Paulus gehört trotzdem nicht zur Gruppe der liberalen Gesetzesverweigerer oder sogar der – na ja – Anarchisten. Weil er zum einen weiß: Es gibt auch noch andere Gesetze und Gebote und Abmachungen. Nicht so wie gerade aufgezählt, sondern sinnvolle, menschliche und menschenfreundliche. Und weil er zudem weiß: Man muss nicht alles tun und machen, nur, weil man es gerade kann, oder weil es eben nicht verboten ist. Weil, wenn jeder macht, was er will oder kann, weil es bei so etwas eben nicht nur Genießer und Gewinner, sondern vor allem auch Verlierer und zu kurz Gekommene gibt. Siehe die Beispiele von vorhin. Darum noch mal: Man muss nicht alles tun und machen, nur, weil man es gerade kann, oder weil es eben nicht verboten ist.

Und deshalb zählt sich Paulus aus gutem Grund zur 3. Gruppe der „Rote-Ampel-Typen“, zu denen, die Rücksicht nehmen. Die Rücksicht auf die Kinder, auf die Kleinen und Schwachen nehmen. Denen die besondere Zuneigung und Fürsorge Gottes gilt. Wo seine, wo meine Freiheit ein Ende hat, damit andere keinen Schaden nehmen und geschützt bleiben.  

Das ist richtig verstandene Rechtfertigung.

Und mir und uns sollte das leicht fallen – weil wir angenommen sind und bleiben, und das allein ist wichtig und zählt.

So sei es. Oder auf Griechisch: Amen