Liebe Gemeinde,
„Nennen wir es Frühlingslied“ von Mascha Kaleko.
In das Dunkel dieser alten, kalten
Tage fällt das erste Sonnenlicht.
Und mein dummes Herz blüht auf, als wüsst es nicht:
Auch der schönste Frühling kann nicht halten,
Was der werdende April verspricht.
Da, die Amseln üben schon im Chor,
Aus der Nacht erwacht die Welt zum Leben,
Pans vergessnen Flötenton im Ohr…
Veilchen tun, als hätt‘ es nie zuvor
Laue Luft und blauen Duft gegeben.
Die Kastanien zünden feierlich
Ihre weißen Kerzen an. Der Flieder
Bringt die totgesagten Jahre wieder,
Und es ist, als reimten alle Lieder
Sich wie damals auf „Ich liebe dich“.
– Sag mir nicht, das sei nur Schall und Rauch!
Denn wer glaubt, der forscht nicht nach Beweisen.
Willig füg ich mich dem alten Brauch,
Ist der Zug der Zeit auch am Entgleisen –
Und wie einst, in diesem Frühjahr auch
Geht mein wintermüdes Herz auf Reisen.
Sie werden sich denken können, dass vor allem die letzte Strophe mich nicht losgelassen hat.
Denn wer glaubt, der forscht nicht nach Beweisen.
Willig füg ich mich dem alten Brauch,
Ist der Zug der Zeit auch am Entgleisen –
Und wie einst, in diesem Frühjahr auch
Geht mein wintermüdes Herz auf Reisen.
“Ist der Zug der Zeit erst am Entgleisen…”. So könnte man ja in der Tat unsere Zeit beschreiben. Und ohne dass ich jetzt alles einzeln aufzähle, vom Ukraine-Krieg über Wirtschaftskrise mit Armutsbedrohung für viele bis hin zu immer mehr Tyrannen und immer weniger Demokratie, ja, und immer schlechterem Klima in unserer Welt, das trifft es ziemlich gut, wie ich finde, leider: “Ist der Zug der Zeit erst am Entgleisen …”.
Und folgerichtig herrscht Angst, viel, viel zu viel Angst. Und das Prinzip des Lebens scheint nur noch Angst zu sein.
Und das macht was mit uns. Diese Angst hat Folgen. Die einen macht es einfach nur traurig bei dem Gedanken, dass es nie mehr so sein wird wie früher, wie vor Krieg und Pandemie. Andere dagegen versuchen den Tanz auf dem Vulkan, alles egal, Hauptsache Stimmung. Und noch andere versuchen nur non krampfhaft abzusichern und festzuhalten, was nicht festzuhalten ist. Bis hin zu denjenigen, die sich den Keller vollstopfen und dann – noch ein Schritt weiter – ihn mit Beton absichern. Um dann, wenn sie wieder rauskommen, feststellen zu müssen, dass sie allein auf der Welt sind. Wer es möchte … ich nicht. Und wir alle miteinander merken nur noch viel zu selten, dass Vertrauen und Hoffnung und Lebensfreude, dass Ziele und Pläne dabei auf der Strecke geblieben sind. Glauben kaum noch dran. Die Angst begräbt uns – oder wir uns selber. “Ist der Zug der Zeit erst am Entgleisen …”.
Und so will ich nicht leben. Und das will ich nicht hinnehmen. Und darum brauche ich eben keine ständig mich runterziehenden Kommentare und Hinweise, wie schlimm und schrecklich alles ist. Das weiß ich von allein, ich informiere mich doch, und die Wiederholung macht es nicht besser. Und deshalb, ich brauche ganz andere Geschichten, brauche Ostern, brauche Ostergeschichten und besonders die von der Auferstehung.
Brauche Symbole, Bilder und Geschichten, in denen es nicht um Drohungen oder Warnungen geht, sondern um Befreiung, brauche Gleichnisse, die mich beflügeln. Brauche eben Bilder, die mich aus dieser Angst-Blase herausreißen. Die meinen Horizont erweitern, die mir helfen, größer zu werden, als ich bin. Da und jetzt, wo alles versucht, mich kleinzukriegen. Und mutlos. Und resignierend. Brauche Bilder, in denen ich nicht wiederzuerkennen bin. Allenfalls das, was alles noch aus mir werden könnte. „Ich bin, aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst. (Ernst Bloch) Brauche Geschichten, die mir Mut machen, über meinen Tellerrand zu schauen und über meinen Schatten zu springen, auch aus meinem engen Horizont hinaus. „Es gibt Menschen, die sehen Dinge, die es gibt, und fragen: Warum. Ich aber träume von Dingen, die es noch nicht gibt und frage: Warum nicht.“ (G. B. Shaw zugeschrieben) Und genau das sind für mich diese Oster- und Auferstehungsgeschichten. Geschichten, die mir sagen: Fürchte dich nicht. Vor nichts und niemand. Auch nicht vor Tyrannen und vor dem Tod. Die Welt hat ihren Endzustand noch nicht erreicht. Und auch auf eine letzte Gerechtigkeit, da darfst du immer noch hoffen.
Liebe Gemeinde, in einer Zeit, in der so viel entgleist, in einer Zeit, in der viel zu viel uns auffordert, immer mit dem Schlimmsten zu rechnen, da sind die Ostergeschichten der Gegenentwurf. Ostern stellt die Welt auf den Kopf. Nicht laut und vor großem Publikum, anfangs erst vor ein paar Frauen und Männern, aber Ostern sagt uns heute immer noch: „Immer mit dem Besten rechnen.“ Denn da ist einer, der ist größer als unser kleines Leben. Stärker als Grab, Tod und Teufel. Und der hält uns, in dieser Welt und in diesem Universum. Und wenn alle Tyrannen und Machthaber schon längst zu Staub zerfallen sind, dann steht der immer noch an unserer Seite mit einer Liebe, die stärker ist, als alles Wechselfälle dieses Lebens.
Darum brauche ich Ostern und seine Geschichten, denn das stellt meine Füße auf weiten Raum, sagt, dass die, die mit Tränen säen, mit Freuden ernten werden. Beseelt mich mit der Vorstellung von einem neuen Himmel und einer neuen Erde, wo Leid und Tod und Geschrei nicht mehr sein werden. Weil da einer sagt und in die Tat umgesetzt hat: Siehe, ich mach alles neu. Und du bist gemeint, bist mit einbezogen.
Und ja, ich weiß, ich kann das weder belegen noch beweisen. Brauche ich auch nicht, denn diese Gewissheit, diese Zuversicht und Hoffnung, das macht etwas mit und das macht etwas aus mir. Und haben sie den Vers aus dem Gedicht noch im Gedächtnis?
Denn wer glaubt, der forscht nicht nach Beweisen.
Willig füg ich mich dem alten Brauch,
Ist der Zug der Zeit auch am Entgleisen –
Und wie einst, in diesem Frühjahr auch
Geht mein wintermüdes Herz auf Reisen.
Weil es weiß: Fürchte dich nicht. Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.
So ist es und so sei es auch heute. Oder auf Griechisch: Amen